Die Konstruktion der Runneburg-Blide anhand spätmittelalterlicher Bild- und Textquellen (Teil 3)

Wenden wir uns deshalb zuerst der Konstruktion einer Blide zu und betrachten eingenhder die Runneburg-Blide. Die historische Vorlage für die Grundkonstruktion der Runneburg-Blide – des den Triböcken namensgebenen Dreibocks – geht auf zwei sich ähnelnde Abbildungen in spätmittelalterlichen Handschriften zurück.1 Die senkrecht auf jeweils einem längs ausgerichteten Schwellenbalken stehenden und verzahnten Dreiböcke wurden mit zwei langen im unteren und einem kurzen im oberen Bereich eingepaßten Querbalken verbunden. Die Köpfe der Dreiböcke waren mit Blechen und Eisen gesichert, um ein mögliches Aufreißen und ein Eindringen von Regenwasser zu verhindern. Die Längsschwellbalken ruhten zudem eingepaßt auf drei auf einem Kiesbett lagernden Querschwellbalken, von denen der Mittlere, der Längste war (Kreuzform) und zusätzlich massive Querstreben aufnahm, die der Statik dienten und an denen kleine Querhölzer eingepaßt waren, die als Leiter dienten. Mittig verlief eine hölzerne Laufrinne für die Wurfschlinge samt ledernem Schleudersack mit Blidenstein. Er war glatt gehobelt, um die Reibung zu minimieren und den Schleudersack nicht unnötig durch Reibungskräfte zu schädigen. Der Schleudersack selbst wurde vor jedem Werfen eingefettet. Am hinteren Teil der doppelten Querbalken waren auf jeder Seite große hölzerne und mit Eisenbändern gesicherte Spannräder mit eisernen Zahnrädern eingebracht, die über eine Welle das Spannseil des Wurfarmes aufnahmen, das im oberen Drittel mittels eines eisernen Ringes befestigt war. Eine laufende Rolle erleichterte das Herabwinden des Wurfarmes. Die eisernen Zahnräder ließen sich bereits auf arabischen Bliden des 13. Jahrhunderts nachweisen und dienten der Arretierung der Spannräder. Ihr Gegenpart war ein kleiner eisernen Zahn, weshalb beim Herabwinden des Wurfarmes ein typisches Rattern bzw. Klicken zu hören war. Die starken Seile bissen sich massiv in die Spannwelle, die ebenfalls aus Hartholz gefertigt war. Die Seile waren, genau wie die ganze Runneburg-Blide, TÜV geprüft. In der Spitze der Dreiböcke war eine Stahlwelle mit Abstandshülsen eingepaßt, die den Wurfarm mittig hielt. Der Wurfarm bestand aus drei miteinander verzahnten und mit Eisenbändern und Seilen umwundenen Balken. Den mittleren Balken arbeitete man aus einer 300jährigen dänischen Esche, die beiden außen liegenden Balken waren aus einheimischem Nadelholz. Das Hartholz sorgte für Stabilität, das Nadelholz für Elastizität. Der Wurfarm hatte eine Gesamtlänge von 14,47 Metern, die Höhe der Blide war 17,64 Meter, die Achshöhe von der Auflagenfläche betrug 6,97 Meter. Die Runneburg-Blide war somit etwas kleiner, als die Große Blide des Konrad Kyeser. An der Spitze des Wurfarmes war ein besonders gekrümmter Haken aus Eisen befestigt. Die Krümmung des Hakens blieb immer ein Geheimnis, weil sich hierin der richtige Abschußwinkel für das Lösen der Wurfschlinge verbarg. Der Haken wurde durch Werner Freudemann mit einer Eisensäge in die richtige gekrümmte Form gebracht. Am Ende des Wurfarmes waren eingepaßte Bleigewichte angebracht.

Die Konstruktion des Gegengewichtskastens (belegt sind zahlreiche Varianten aus Kästen, Säcken, Körben mit Steinen) orientierte sich an der Abbildung der Kyeserschen Großen Blide (Blatt 48a, 1405)2 und ähnlicher Abbildungen aus der Zeit um 1400. Die Befüllung des großen, mit Eisenbändern gesicherten Kastens mit Steinen und Sand (in Säcken) folgt der Beschreibung von Aegidius Romanus in seinem um 1280 verfaßten Werk „De regimine principum“. Ein Gürtel aus Bleigewichten in spezieller Form gegossen, die am Ende des Wurfarmes mit Seilen zusammengehalten wurden, muß als zusätzliches festes Gegengewicht verstanden werden. Somit stellt die Runneburg-Blide einen Hybridtyp dar, wie ihn die Cod. germ 6003 und Cod. 30694 zeigen und wie er von Aegidius Romanus als „Tripantum“ beschrieben wird.5 Als Abzugsmechanismus diente ein eiserner Hebel, der ein Seil sicherte, welches nach dem Spannvorgang also dem Herabwinden des Wurfarmes im hinteren Teil über denselben gelegt worden war. Es waren mindestens zwei Männer nötig, die „Blide abzuziehen“. Über die Treffgenauigkeit der Bliden läßt Aegidius keinen Zweifel; man könne mit ihnen den Kopf einer Nadel treffen!

1Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 600: Anleitung, Schießpulver zu bereiten, Büchsen zu laden und zu beschießen (dt.), um 1400 und Johann Hartlieb: Kriegsbuch, um 1411, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 3069.

2Conrad Kyeser: Bellifortis. Faksimile d. Göttinger Pergamenthandschrift Ms.philos.63. Umschr. u. Übers. v. Götz Quarg, Bd. 1.2., Düsseldorf 1967, fol. 30r. Hölzerne Kästen finden sich bereits auf deutschen (Codex Manesse) europäischen und arabischen ( Rashid al-Din, 1307) Miniaturen des 14. Jahrhunderts.

3Bayerische Staatsbibliothek München, Cgm 600: Anleitung, Schießpulver zu bereiten, Büchsen zu laden und zu beschießen (dt.), um 1400.

4Johann Hartlieb: Kriegsbuch, um 1411, Österreichische Nationalbibliothek Wien, Cod. 3069.