Von Schlangen, Schelmenromanen und Serienmördern – Im Interview mit Mordort.de
Herr Kirchschlager, über historische Baugeschichte zur mittelalterlichen Waffentechnik bis hin zur Kochkunst – Sie sind ein thematisch weitgereister Mann. Wie kam es zur Beschäftigung mit historischer Kriminalliteratur?
Meinen ersten Krimi schrieb ich mit neun Jahren („Mord in Hessen“). Er sollte als Tatort verfilmt werden – so meine Pläne. Doch ich lebte in der DDR… Lust auf einen Polizeiruf hatte ich aber nicht, die waren mir zu unspektakulär. Heute sehe ich die alten Streifen dagegen gern, weil sie voller Gesellschaftskritik stecken. Nach dem Krimi schrieb ich einen Ritterroman, ein Buch über Schlangen, dann einen Schelmenroman usw. viel unveröffentlichtes Material. Meine Karriere als freischaffender Schriftsteller, wie ich sie mir immer vorgestellt hatte (am Strand liegend, Drinks schlürfend und ab und an einen Bestseller schreibend), war der nüchternen Realität des Sozialismus gewichen. Ich begann also etwas „Handfestes“ zu studieren und studierte Geschichte… Dabei hatte es mir das Mittelalter angetan, was sich ebenfalls schon in frühester Kindheit abzeichnete. Ich sage es nicht oft, aber in meiner Brust steckt weniger ein Historiker; darin schlägt vielmehr ein Schriftstellerherz, aber von meiner Schriftstellerei kann ich nicht leben.
Erst während meines Geschichtsstudiums in Halle sammelte ich aus thüringischen Chroniken obskure Fälle. Dort wurde mein Interesse geweckt für alles historisch Gruselige und Kriminelle. Aber es sollte noch etliche Jahre dauern, bis daraus das erste Eigenverlagswerk wurde (2001 „Das thüringische Obscurum“ mit Lothar Bechler). Dieser Band lief so gut, daß ich beschloß, weitere regionale Bände folgen zu lassen, da ich zu dieser Zeit meine ersten Erfahrungen in puncto Vertrieb sammelte. Dann erkundete ich den Buchmarkt nach ernstzunehmenden Konkurrenten und mußte feststellen, daß sich bisher niemand dieses Themas in gründlicher Form bemächtigt hatte. Also baute ich den Verlag Kirchschlager für „historische Kriminalliteratur“ auf – denn von irgendetwas muß der Mensch ja leben.
Wie hat Ihr persönliches Umfeld darauf reagiert, dass Sie jetzt Titel, wie „Historische Serienmörder“ oder die „Preußische Kriminalchronik hingerichteter Verbrecher“ verlegen?
Meine Familie, die voll mitarbeitet (Mutter macht Finanzen, Vater Lagerarbeiten) sah und sieht das gelassen, sie kennt mich. Meine Frau Andrea ist selbst Historikerin. Außerdem ist die Geschichte der Menschheit voller Gewalttaten; denken sie an all die Schlachten, Kriege, Gräuel, politischen Morde. Im Vergleich mit einigen Kriegsverbrechern oder Diktatoren sind Serienmörder arme, kleine Würstchen – und das meine ich im ernst.
Aber wenn Sie einmal Mäuschen im Hause Kirchschlager spielen, kann es Ihnen passieren, daß Sie Zeuge obskurer Dialoge werden. So kann es sein, daß meine Mutter schon einmal meinem Vater zuruft, daß sie noch drei „Särge“, vier „Mörder“ und noch ein paar „Seemonster“ bräuchte… (alles Abkürzungen von Buchtiteln).
Einigen Familienmitglieder ist es schnurz egal, andere finden es klasse. Ich glaube – denke ich an einige Tierschützerinnen (darunter auch meine Frau) – als Fleischer hätte ich es in meiner Familie schwerer…
Gewalttaten gibt es auch in der Gegenwart genug, was kann dem modernen Leser Ihrer Meinung nach die Beschäftigung mit historischen Morden bringen?
Nun, daß man sich vor Menschen hüten sollte!
Auffällig ist, dass viele der von Ihnen verlegten Bücher einen regionalen Bezug haben – was für eine Rolle spielt der geographische Raum bei Ihrer Verlagsplanung?
In Thüringen verfügen wir über den stärksten Vertrieb, weshalb ich in der jetzigen „Krise“ auch auf Thüringen setzte – wobei ich die sogenannte „Krise“ nicht fürchte. Des weiteren „schafft“ man es nur mit Regionaltiteln in die großen Buchhandelsketten, weshalb es auch so viele Regionalkrimis gibt. Dahinter stecken vornehmlich Vertriebsüberlegungen. Dann passiert es auch schon einmal, daß ein Buch mit einem ziemlich plumpen Titel daher kommt, wie z. B. „Berliner Verbrecherinnen“ oder „Thüringer Mörderinnen“. Aber was soll man machen? Den Band „Die Fee von Charlottenburg – Berliner Verbrecherinnen“ wollten nur Charlottenburger Buchhändler haben, also entschieden wir uns schnurstracks für die Änderung und Abkürzung in „Berliner Verbrecherinnen“ und prompt liefen die Vorbestellungen in ganz Berlin. Plump, sehr plump, aber so ist es leider einmal.
Die großen Verlage und Konkurrenten werfen ja Kriminalliteratur in jeder Form und Güte auf den Markt – Wo sehen Sie Ihren Platz als kleiner Spezialverlag in Zukunft?
Mein großes Ziel ist es, in Tradition zu Willibald Alexis, einem in Arnstadt verstorbenen Herausgeber des „Neuen Pitavals“ stehend, in den nächsten 40 Jahren die größte historische Kriminal-Bibliothek Deutschlands zu veröffentlichen. Dazu habe ich das Potential zahlreicher sehr guter Kriminalhistoriker, Autoren und Mitstreiter, die mit großem Engagement ans Werk gehen. Ich möchte dabei unseren Autoren das Gefühl vermitteln, Mitglied einer großen Kriminalia-Familie zu sein – denn bei mir steht das Werk im Vordergrund.
Dennoch hätte ich nichts dagegen, das eine oder andere Werk als Taschenbuchlizenz zu verkaufen. Glücklicherweise hat unser Verlag ein treues Lesepublikum, so daß wir noch nie ein Buch verramschen mußten. Das wird auch so in Zukunft bleiben: Wir produzieren vornehmlich Hardcover mit Fadenheftung und einem Leseband – und bei den Kosten für Abbildungen wird ebenfalls nicht gespart. Trotzdem rechnet es sich. Wir werden auch zukünftig ein kleiner, überschaubarer, aber „kultiger“ Verlag sein. Und wenn den vielen Krimiautoren nichts mehr einfällt, können sie gerne bei KIRCHSCHLAGER reinschauen, denn nichts ist spannender als die Wahrheit.
Zu welchem Ihrer Bücher würden Sie raten, um einem Neuling einen guten Einstieg in dieses Thema zu geben?
Ganz klar: „Historische Serienmörder“ Band I., einer unserer besten Titel und seit seinem Erscheinen bei Amazon.de in der Rubrik Rechtsmedizin auf der Bestsellerliste. Aber auch die „Kriminalchronik des Dritten Reiches“ von Wolfgang Krüger ist ein „Leckerbissen“. Das neue Buch von Petra Klages „Brieffreundschaft“ mit einem Serienmörder“ spricht allerdings eher hartgesottene Konsumenten der Serienmörder-Sachbuch-Fraktion an.
Herr Kirchschlager – womit überraschen Sie uns in Zukunft?
Wir werden die Reihe „Historische Serienmörder“ ausbauen. Bald erscheint Band 2, weitere werden folgen. Serienmörder sind krisenresistent. Dann werden wir den Jugendbuchbereich zur Geschichte Thüringens ausbauen. Hierfür haben wir auch den stärksten Vertrieb.
Vielen Dank für das Interview.
Ich danke Ihnen.