Die ältesten Kloßrezepte Thüringens!
Jedes noch so geartete kleine „Ding“ trägt etwas Besonderes in sich, und so kann auch unser kleines unscheinbares Thüringer Koch- und Backbuch der Johanne Leonhard (Arnstadt 1842) etwas Außergewöhnliches vorweisen: zwei Rezepte für „Rohe Kartoffelklöße“. Nun könnte man fragen: was ist denn schon Besonderes dabei? Nun, das Besondere daran ist das Alter der Rezepte, denn bislang existieren für den „Rohen Kartoffelkloß“ und noch dazu den aus Thüringen für diese Zeit nicht sonderlich viele Rezepte…
Das bis dato älteste Rezept für die vielgepriesenen Thüringer Klöße hat uns Pfarrer Friedrich Timotheus Heim aus Effelder (bei Sonneberg) in seiner handschriftlich überlieferten „Topographie des Pfarrspiels Effelder“ aus den Jahren 1808–1814 hinterlassen.
Zwei Kloßrezepte aus der Effelder Topographie des Pfarrers Heim
„Die Glöße sind von zweierlei Art. Eine Art wird von gesottenen, dann geschälten und geriebenen Erdäpfeln gemacht, in welche man geröstete Semmelbröckchen knetet, und sie entweder in einem Ribes (eine Art Auflaufform) backt, oder wenn sie mit etwas Mehl vermischt sind, wie andere Glöße in einem Tiegel kocht. Die zweite Art, welche die gewöhnlichste ist, und mit Fleisch gegeßen als Sonntagseßen betrachtet wird, besteht darin, daß man, wie beim Tatsch (roher Kartoffelbrei zur Herstellung von „Daitscher“, altes Thüringer Hausrezept für in der Herdröhre gebackenen rohen Kartoffelbrei), die geschälten rohen Erdäpfel auf einem Reibeeisen, klein reibt, dann die Maße in einem Sack thut und mehr malen frisch Waßer darauf schüttet, das man in einen Kübel ablaufen läßt, und endlich die so durchgewäßerte Maße so sehr möglich ausdrückt. Da von diesem Ausdrücken zum Theil die Güte der Glöße abhängt, so hat man eigene Kartoffelpreßen, die im Großen wie Citronenpreßen geformt sind, zwischen deren Blätter der Erdäpfelsack gelegt, und alles wäßrige rein ausgedrückt. Diese trockene Maße wird nun mit einem dünnen Brei von Mehl, oder Gries oder Hirse oder Heisel (Buchweizen), je nachdem man das eine oder andere hat, zu einer Glößmasse angemacht und wie andere Glöße geformt und gekocht. Wer die besonders gut haben will, reißt sie beim Anrichten auf, übergießt sie mit heißer Butter. In dem abgelaßenen Waßer, das man sorgfältig aufhebt, setzt sich eine feine Maße, welche man, nach abgeschüttetem Waßer, heraus nimmt, und zum Gebrauch am Ofen oder an der Sonnenhizze trocknet. Dieß ist die Erdapfelstärke, die zwar zum Stärken der Wäsche nicht viel taugt, weil sie nicht hält, und auch das Weißzeug roth macht, aber, zu Mehl zerrieben, zum feinsten Backwerk, selbst zu Torten gebraucht werden kann. All diese Zubereitungen sind jetzt bei Reichen sowohl als Armen eingeführt, und nur, daß jene mehr Butter und Eier dazu nehmen, als diese können.“
Bei Johanne Leonhard werden zwei Rezepte mitgeteilt: Nr. 198 und Nr. 199.
199. Rohe Kartoffelklöße
2 Metzen (ca. 7 Kg) Kartoffeln geschält gerieben und tüchtig gewässert dann das Mehl etwas beseitiget von 6 Nößel (ca. 3 Liter) Milch Brei gemacht von ¼ Pfund Gries den Schab damit gebrüht ¾ Pfund Speck 18 Pfennige Semmel darin gerößtet und in jeden Kloß die Semmel inwendig hinein gedrückt dann in wallendes Waßer gethan und eine halbe Stunde gekocht. Der Schab muß aber hübsch ausgepreßt werden.
200. Rohe Kartoffelklöße
1 Metze große Kartoffeln, geschält gerieben und tüchtig gewässert das Mehl etwas rausgewaschen. Von 3 Nösel Milch Brei gemacht für 1 Pfennig Gries den Schab damit gebrüht ¼ Pfund Speck 12 Pfennige Semmel darin geröstet. Die Klöße ins wallende Wasser gethan und eine halbe Stunde gekocht. Auf diese Masse bekommt man 10 große Klöße.
(Diese Klöße wurden bereits zubereitet; mir schmecken sie außerordentlich gut! Man muß für den feinen Geschmack nur „offen“ sein!)
Die Thüringer „Rohen Kartoffelklöße“ dürften in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in unterschiedlichen Varianten in allen Teilen Thüringens ihren Siegeszug angetreten haben, wie einige Rezepte in gedruckten (!) Kochbüchern mit weitreichender Verbreitung aus dieser Zeit beweisen.
Das wahrscheinlich früheste Rezept findet man bei Christian Oehm: Praktisches Kochbuch für bürgerliche Hausfrauen, Wirthschafterinnen, Köche und Köchinnen. Der Küchenmeister des Herzogs von Sachsen-Coburg-Gotha gab dieses Kochbuch, wie wir mit Interesse auf dem Deckblatt nachlesen können, nach fünfzigjähriger Erfahrung 1854 in Coburg heraus. Sowohl aus diesem wie auch aus den anderen Rezepten, die wir hier chronologisch zitieren, kann man sehr schön die Entwicklung und die Vielfalt des „frühen“ Thüringer Kloßes erkennen.
Rohe Kartoffelklöße nach Christian Oehm
„Sind hauptsächlich in Coburg und auf dem thüringer Wald beliebt. Diese werden auf verschiedene Art zubereitet und manche Hausfrau hat eine besondere Fertigkeit darin, die besten rohen Kartoffelklöße zu machen. Die Kartoffeln werden reinlich geschält (man nimmt immer die Größten dazu), und in kaltes Wasser gelegt, und wenn man glaubt genug zu haben, werden sie in einer großen Schüssel, worin sich ebenfalls kaltes Wasser befindet, auf dem Reibeisen gerieben, dann gießt man noch mehr frisches Wasser dazu. Indessen schneidet man nach Verhältnis der Anzahl Klöße Semmeln in Würfeln und röstet solch ein Butter oder gutem Fett. Die geriebenen Kartoffeln kommen in einen besonders dazu verfertigten Sack, dieser wird fest zugebunden und kommt unter die Kartoffelpresse, in Ermangelung einer solchen kann man auch andere Pressen dazu benutzen, wobei jedoch der Sack zwischen zwei Brettchen gelegt, und das Wasser langsam rein herausgepreßt wird (je trockener die Masse ist, desto schöner werden die Klöße), unterdessen bereitet man mit kochender Milch einen Brei, entweder von Gries, Reis oder Kartoffeln und brüht mit diesem die Kartoffelmasse an. (Manche brühen sie auch blos mit Milch oder gar mit Wasser, dieß ist aber nicht so gut.) Wenn der Teig angebrüht ist, so kommen die gerösteten Semmeln nebst Salz daran, oder wie es die meisten machen, die gerösteten Semmeln kommen, soviel zu einem Kloß nöthig ist, in die Mitte desselben; die Hände werden ins Wasser getaucht und nimmt mit der rechten Hand eine Portion von der Masse, giebt es in die linke und mit den Fingern der rechten wird in den Kloß eine runde Oeffnung gemacht, aber nicht ganz durch, darein werden die gerösteten Semmeln gelegt, der Kloß wird wieder zugedrückt, in das kochende Wasser gelegt und so fort gefahren, bis alle darinnen sind. Man muß jedoch darauf sehen, daß sie gleich wieder ins Kochen kommen. Zu bemerken ist noch, daß der Teig ganz locker sein muß, wenn die Klöße locker und wollig werden sollen. Der Brei zum Anbrühen der Kartoffelmasse muß hinreichend sein. Der Griesbrei ist am besten dazu. […]“
Ein weiteres Kloßrezept finden wir in Emma Allesteins Kochbuch Das beste bürgerliche Kochbuch vorzüglich für das Haus berechnet. Unsere vorliegende Ausgabe stammt von 1861, die erste Auflage erschien 1851.
Klöße von rohen Kartoffeln nach Emma Allestein
„Man schält hierzu die Kartoffeln roh, und reibt sie entweder ganz früh am Morgen, oder noch besser am Abend vorher in reichliches, frisches Wasser. Kurz vor dem Bereiten der Klöse drückt man das Wasser mit den geriebenen Kartoffeln durch einen reinen, leinenen Sack recht rein aus, damit nicht zu viel Mehl im Sack zurückbleibt. Der Inhalt des Sackes wird nun in eine Schüssel geschüttet, und mit einer gleich großen Quantität heißen Milchmuses gebrüht, sei nun dasselbe mit Reis, Gries, Hirse oder auch nur Kartoffeln bereitet; doch ist dem vom Reis bereiteten der Vorzug zu geben, nur müssen die Reiskörner ganz zerkocht sein. Die Masse rührt man nun gut untereinander, giebt nach Verhältniß derselben in Würfel geschnittene und in Butter geröstete Semmel dazu, salzt es gehörig, sticht dann mit einem Blechlöffel, den man jedesmal ins heiße Wasser taucht, von dieser Masse Klöse ab, und kocht sie in Salzwasser eine reichliche Viertelstunde. […]“
Das Rezept für den heute zumeist gefertigten Thüringer Kloß findet sich bei Hedwig Kost (1871-1949) und wurde dem Kochbuch Thüringisch-fränkische Küche (5. Auflage von 1935) entnommen. Die Autorin schöpfte als Leiterin einer weithin bekannten Kochschule in Sonneberg aus der Vielfalt der unverwechselbaren Kochrezepte ihrer thüringisch-fränkischen Heimat.
Rohe oder Thüringer Klöße nach Hedwig Kost
„9 ½ Pfd. Rohe, geschälte Kartoffeln (6 Pfd. davon zum Reiben, 3 ½ Pfd. zum Brei), 2 Semmeln zu Bröckchen, 30 g Butter, 40 g Salz, 1 l Wasser, 20 g Salz zum Brei, 4 bis 5 l Kochwasser. Die Reibekartoffeln werden schnell in lauwarmes Wasser gerieben, dann mit lauwarmem Wasser zweimal abgewässert und im Sack durch die Presse vollständig trocken ausgepreßt. Die Semmeln werden kleingeschnitten und die Bröckchen in Butter geröstet. Die Breikartoffeln werden mit kaltem Wasser und Salz aufgesetzt, weichgekocht und mit dem Wasser zu einem dickflüssigen Brei gestampft. Den fertigen Brei bringt man zum starken Kochen, während man die Kartoffeln aus der Presse nimmt und mit dem abgewässerten Kartoffelmehl und 40 g Salz in einer Schüssel mit den Händen verreibt. Dann wird die Masse mit dem sprudelnd kochenden Brei in drei Absätzen überbrüht und unter Stampfen mit einem großen Quirl zu einem glatten Teig verarbeitet. Man formt die Klöße mit nassen Händen, füllt sie mit Brötchen und gibt sie in kochendes Wasser, in dem sie 10 Minuten ziehen, nicht kochen dürfen. – Wichtig ist, daß Kloßwasser und Brei kochen, ehe man die Kartoffeln aus der Presse nimmt, sonst wird die Masse durch längeres Stehen rot, und die Klöße bekommen eine dunkle Farbe. Die Masse ergibt etwa 18 Stück.“
Das Thüringer Koch- & Backbuch der Johanne Leonhard von 1842 mit vielen tollen Rezepten erscheint Anfang Juli und kann bei verlag-kirchschlager.de vorbestellt werden.