Hans Stahl- Der Historia erster Teil

Am Tag meiner Geburt, es war der 6. November im Jahre Christi 1589, sah man die ganze Nacht über ein feuriges Gewölk am Himmel über der gräflich schwarzburgischen Residenzstadt Arnstadt. Bangten die beiden Frauen, die meiner Mutter beim Kreißen zur Seite standen, die Wehemutter Barbara Dintmut und meine gute Muhme Anna Sabina aus diesem Grund um das Leben der zukünftigen Wöchnerin, gebot mein Vater dem abergläubischen Geschwätz der beiden Weiber, die immer irgend etwas von bösen Vorzeichen faselten, Ruhe und deutete das glutrote Firmament statt dessen als gutes Zeichen für unsere hochehrbare Schmiedezunft.
Meine Mutter, Justina Stahl, geborene Stör, Tochter des berühmten Suhler Waffenmeisters und Büchsenschmiedes Christian Stör, hielt sich tapfer, und nach einigen Stunden recht anstrengender Arbeit erblickte ein ziemlich großer Bursche das Licht der Welt. Man taufte mich Johann, auf den Namen meines Taufpaten, Hans Büchsenschmied, Bürger und Nagelschmied aus der kleinen Rosengasse, und meiner Familie bester Freund.
„Der Junge“, sagte mein Vater voller Stolz und Zuversicht am Tage meiner Taufe, „wird bestimmt ein Schmied!“ Und er ließ sich meine Bestimmung einen ganzen gespickten Hammel kosten.
Ursprünglich stammten meine Vorfahren aus dem waffenberühmten Suhl, des Deutschen Reiches bekannteste Waffenschmiede, das deutsche Damaskus, wie die Suhler es nennen, aber ein paar Jahre vor meiner Geburt erhielten die Suhler Waffenschmiede etliche große Aufträge seitens des Grafen zu Schwarzburg und des Arnstädter Rates, und so kam es, daß sich einige der Schmiede in der schwarzburgischen Residenzstadt nördlich des Thüringer Waldes ansiedelten.
Das Glück der Waffenschmiede rührte vom Unglück der Arnstädter her, denn als im Jahre des Herrn 1581, am 7. August, ihr Bürgermeister Hans Nebel aus böser Unachtsamkeit und blankem Geiz die ganze Stadt zum Brennen brachte, fielen dem großen Brand binnen weniger Stunden nicht nur das Rathaus, die Bonifatiuskirche mit den Schulen und Pfarrwohnungen, das gräfliche Vorwerk und beinahe 400 Wohnhäuser nebst 64 Scheunen, sondern auch sämtliche Waffen der Bürger und der Stadtgarnison zum Opfer. Arnstadt war schlicht gesagt wehrlos.
Hinzu kam, daß sich gewissenlose Krämer, zwielichtige Spekulanten, verkommene Theriakshändler und heimatlose Gartbrüder auf die armen Arnstädter stürzten und so das Unglück der armen Bürgerschaft noch verschärften. Gleich den Läusen befielen sie die abgebrannten Menschen und man wurde ihrer nur durch kräftiges Beschneiden Herr. In den Jahren zwischen 1582 und 1589 schmiedeten die Suhler Waffenschmiede für Arnstadts Wehr Hunderte Rohre, Piken, Hellebarden, Schlachtschwerter, Rapiere, Krebse, Eisenhüte, Morions, Seitengewehre und was es sonst noch so an Kriegsgerät zu benennen gibt. Im Jahr meiner Geburt konnten schon über 500 Bürger vor dem Schloß gemustert werden und auch die alte ehrwürdige Gesellschaft der Arnstädter Büchsenschützen, denen die Stadt jährlich Pulvergeld verabfolgt, begann ihre Übungen mit großem Eifer wieder fortzuführen.
Ich wuchs in den folgenden sechs, sieben Jahren wohlbehütet in der Obhut meiner Eltern in der Rittergasse auf, und schon früh zeichnete sich ab, daß ich zu einem Anführer geboren war. Es gelang mir stets, in kürzester Zeit mittels eines lauten, eindringlichen Pfiffes eine Gruppe von Rotznasen aus meiner Straße um mich zu scharen und sie zu den tolldreistesten Streichen zu verleiten.
Unsere Feinde nannten sich nur kurz die „Hussiten“ und wurden von dem Töchterlein der Bäckersfamilie Kranz, der „schwarzen Anna“, die an der Ecke der Zimmergasse schräg gegenüber dem Hopfenbrunnen zu, wohnten, angeführt. Das war ein Teufelsweib! Mit wehenden Fahnen gab die „schwarze Anna“ mit den grünen Augen, dem geharnischten Ritter des Hopfenbrunnens gleich, den Brotschieber bedrohlich über ihrem Kopf kreisend, so manchem meiner „Männer“ Fersengeld und wenn ich es nicht für eine Schande gehalten hätte, ein Weib zu schlagen, hätte ich der Göre am liebsten ihre pechschwarzen langen Haare um den Brotschieber gewunden und sie kurzerhand in den Backofen geschoben. So aber mußte ich zusehen, wie meine Truppe ein ums andere Mal blau und braun gehauen aufgerieben wurde. Kam ich hinzu, um von meiner blessierten Truppe zu retten, was zu retten war, salvierte das ausgekochte Früchtchen hinter den Verkaufstisch ihrer Mutter und schnitt mir freche Grimassen.
„Na, Hans Stahl“, rief sie dann keck, „n` bißchen weich, dein Blechhaufen, was?“
Das paßte zu den „Hussiten“! Ich hörte von ihnen bei einer Predigt unseres Herrn Superintendenten und Oberpfarrers Magister Paul Held, der uns vor den Sünden dieser Welt bewahren wollte und uns in sehr anschaulichen Worten die Untaten der Hussiten, jener böhmischen Aufrührer, bei so manchem Katechismusunterricht recht plastisch vors Angesicht führte. In meinen Augen leuchtete es vor Patriotismus, wie man sich verständlicherweise denken kann, und ich beschloß, den gefürchteten Hussiten und der erlittenen Schmach mit aller Macht und Entschlossenheit entgegenzutreten.
Ich machte mich also ans Werk und schnitzte aus mächtigen Eschenstämmen ein gutes Dutzend Piken, die ich mir in der Nähe des Walperberges schnitt und mit denen ich meine Soldaten auszurüsten gedachte.
Damals schon sahen wir als kleine Jungen voller Begeisterung, und welcher Junge macht das nicht, dem Aufmarsch der hiesigen gräflichen Kompanie und Stadtwache zu. Und wenn Hauptmann Michael Harnisch mit seinen Soldaten durch die Stadt patrouillierte, kam es nicht nur einmal vor, daß wir uns den Männern in ihren blanken Brustpanzern anschlossen und hinter ihnen mit finsteren und keineswegs gutmütigen Mienen hermarschierten, gleichwohl einen Bogen um der Kranzens Ecke schlagend.
Die Leute freuten sich, und auch Hauptmann Harnisch sah keinen Grund zur Beunruhigung ob dieser Art von Wachverstärkung. Doch eines Tages endete die Begeisterung abrupt, als ich in Abwesenheit meines Vaters, der in der Zimmergasse ein Pferd beschlug, meinen Eschenspießen stählerne Lanzenspitzen verpaßte und an meine „Salvaguardia“* Eisenwaffen aus meines Vaters Schmiede, die er eigens für die Männer des Rates angefertigt hatte, austeilte und so gewappnet auf dem Arnstädter Marktplatz Aufstellung bezog.
Mit Ruß und Waffenöl an Gesicht und Händen, die Spieße gen Himmel gestreckt sahen wir aus, als gehörten wir den Schlachtenliebenden Legionen des römischen Kriegsgottes Mars an. Ich war ein zwölf, dreizehn Jahre altes Bürschlein, schon recht groß, trug den Krebs und den Morion meines Vaters, die er als Mann der Bürgerwehr besitzen mußte, und hielt in der Rechten voller Stolz ein schweres Rapier, das eigentlich für den Gürtel des Bürgermeisters bestimmt war. Wahrlich, meine martialische Truppe hätte dem Ahnherrn der Römer Tränen in die Augen getrieben!
Fast hätte sich unser waffenklirrender Aufmarsch zu einem großartigen Spektakel entwickelt, dem einzig und allein noch ein blutroter Himmel als dramatische Theaterkulisse fehlte, doch das Ganze geriet etwas außer Kontrolle.

* eine besondere Schutzwache
Die guten „Arnschter“ glaubten nämlich, fremde Kriegsknechte, Soldateska der schlimmsten Sorte, üble Freireiter hätten ihr Arnstadt besetzt und wollten sich jetzt an den Taschen, den Häusern und schlimmer noch, an den Töchtern der Arnstädter vergehen. Schnell war die Sturmglocke auf dem Rathaus geläutet, und ehe wir uns versahen, waren wir umringt von Hauptmann Harnischs Männern und einer Schar wütender und sogar mit geladenen Rohren bewaffneter Bürger.
Der hiesige Marktmeister Bastian Annders, ein Schlächter und Koch, kam vom Pfarrhof samt seinem Gesinde angelaufen. Alle trugen noch ihre blutverschmierten Fleischerschürzen um die Hüften und hielten bedrohlich fuchtelnd ihre Fleischhackzeuge in den Händen. Beim Anblick der Fleischhauer überzog mich eine rauhe Gänsehaut.
Von der Neuen Kirche her kam zu meinem großen Schrecken auch mein eigener Vater an der Spitze seiner Gesellen angelaufen. Einer der Burschen hatte ihn eiligst mit den Worten „Herr, Landsknechte sind einmarschiert und drohen unser Arnscht zu sengen“ herbeigeholt, und ich werde mich bis an mein Lebensende an das verhärtete Gesicht meines Vaters erinnern, wie er voller Entschlossenheit, seine Familie zu verteidigen und den fremden Landsknechten die Schädel einzuschlagen, den schweren Schmiedehammer über der Schulter trug.
Man kann sich, ohne viel Phantasie zu besitzen, vorstellen, wie den unerschrockenen Bezwingern der Hussiten die Knie schlotterten angesichts solch eines Auflaufes und der zu erwartenden massiven Gegenwehr.
Zwar stellte sich die ganze Sache schnell als ein meisterliches Bubenstück heraus, und so mancher der Herbeigeeilten konnte sich des Schmunzelns nicht erwehren, dennoch kamen wir um eine Strafe nicht herum.
Zu aller unserer Schande mußten wir drei Sonntage in Büßergewändern vor der Oberkirche zur Buße und Mahnung für unsere Übeltat stehen, dabei Kerzen in den Händen haltend, den Blick zur Erde gesenkt. Die unflätigen Bemerkungen und Verwünschungen anderer Burschen und Mägdelein, besonders die der „schwarzen Anna“ Kranz und ihrer Truppe, möchte ich geflissentlich übergehen.
Das war das Ende für meine kleine Schar, fortan durfte ich nicht einmal einen Stecken auch nur ansehen. Jahre vergingen. Dann kam der 30. Januar Anno Christi 1605.