Hans Stahl – Der Mord
Die Handlung des Romans ist frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wäre rein zufällig und nicht gewollt.
Prolog
Als Madame Ampolonia das vereinbarte, nur zu vertraute Klopfzeichen an der Pforte vernahm, hatte Lorenz Gleichmann, Nachtwächter der gräflich schwarzburgischen Residenzstadt Arnstadt, sämtliche Einwohner, ob alt oder jung, arm oder reich, schon vor einer Stunde in die Betten geschickt. Madame Ampolonia, die mit bürgerlichem Namen Anna Katharina Pfotenhauer hieß, war schon seit vielen Jahren die Aufseherin des hiesigen Hurenhauses. Sie kümmerte sich wie eine Mutter um das halbe Dutzend Schönfrauen, das hier im Bordell in der Großen Rosengasse an allen Tagen außer sonntags zahlungswilligen Bürgern der Stadt, Kaufleuten, Reisenden aus nah und fern oder einfach Mannspersonen, die ihre heißen Gelüste abkühlen wollten, zu Willen war.
Sie kannte alle der häufig hier Weilenden persönlich, zu denen nicht wenige angesehene Bürger und selbst Ratsleute zählten, schwieg aber wie ein Grab, wollte einmal eine aufgebrachte gallige Bürgersfrau wissen, ob ihr Mann zu nächtlicher Stunde Gast im „Haus der Herren“ war. Verschwiegenheit zählte zu ihren Haupttugenden.
Des weiteren konnte sie wie keine zweite „verkuppeln“ und ein Ding zum anderen bringen. Stets fand sie für den jeweiligen Freier und dessen zuweilen ausgefallenen Wünsche das entsprechende Mädchen, sofern die Entlohnung stimmte. Die Mädchen waren allesamt junge Weibspersonen zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren, zumeist schlank, bis auf die dralle Bärbel, die aber gerade deshalb so manchen zahlungskräftigen, gleichwohl älteren Kunden einfing.
Aber die Leitung des städtischen Hurenhauses war nur eine ihrer vielfältigen Betätigungen; ihre Hauptaufgabe bestand in der fiskalischen Aufsicht, denn Madame Ampolonia war es, die die Preise festlegte, das Geld in Empfang nahm, den Anteil der Schönfrauen verwaltete, ihnen diesen auszahlte und schließlich pünktlich zu Walpurgis und zu Michaelis die „Liebessteuer“ der Stadt Arnstadt, die man ohne nähere Bezeichnung unter „Einnahmen allgemein“ verbuchte, an die Stadtkämmerei abführte.
Das tat sie stets persönlich und es glich schon fast einer Prozession, wenn sie, gefolgt von Scharen junger Männer, die sich einen tolldreisten Spaß daraus machten, stolz wie eine Gräfin und ebenso illuster gekleidet zum Rathaus ging, um die zahlreichen Gulden und Batzen abzuliefern. Und beschwerte diese unheilige Prozession nicht allein die Gemüter der Geistlichkeit und spornte zu wochenlangen Katechesen an, erregte sie nicht minder bei den Arnstädter Bürgersfrauen Mißfallen, denn Madame Ampolonia ließ es sich zu diesen Anlässen nicht entgehen, ihre neueste Mode vorzuführen, die sie eigens aus Frankreich und Italien bezog und für die sie ein kleines Vermögen verschwendete. Beeindruckte sie ihre männlichen Begleiter und zahllosen Beobachter beiderlei Geschlechts das eine Mal in einem samtenen fliederfarbenen Kleid mit einem äußerst freizügigen Dekolleté umrahmt von flandrischer zierlicher Spitze, schickte sie das andere Mal sehr kokette Blicke unter dem Rand eines schwarzen Hutes bestückt mit Pfauenfedern, die sich längs im Winde streckten, in Richtung Oberkirche. Trug sie die klingenden Münzen einmal in einer weißen, gesteppten Ledertasche mit aufgesetzten Muscheln zum Rathaus, diente ihr beim nächsten Mal ein schmales rotes Etui in Form einer Schlange dazu. Den Höhepunkt des sündhaften Auftrittes bildete aber zweifellos ein Ritual, welches der geschätzten Leserschaft auf keinen Fall vorenthalten werden soll. Sobald die schönste Frau Arnstadts, wie sie von ihren heimlichen Bewunderern auch betitelt wurde, vor der großen Rathaustreppe zum Stehen kam, setzte sie gravitätisch ihren rechten Fuß auf die erste Stufe und zog langsam ihr Kleid zurück. Unter lautem Jubelgeschrei der jungen Männer zeigte sie mit einem triumphierenden Lächeln zuerst ihren grazilen Fuß in einem weißem Schuh. Dann folgte majestätisch und verlockend die Preisgabe einer schlanken Fessel in einem fleischfarbenen Strumpf. Nachdem sie endlich mit ihrer von Amor modellierten Wade für ein Pfeifkonzert gesorgt hatte, was nun auch den letzten Stadtdiener und Wachsoldaten ans Fenster zog, setzte sie ihren Weg fort, der in der städtischen Geld- und Wechselstube endete.
Dort wartete stets ungeduldig der städtische Kämmerer Herr Hering, selbst bisweilen Gast in der Großen Rosengasse, um mit den halbseiden verdienten Steuergeldern das eine oder andere Loch in der Stadtkasse zu stopfen. Madame Ampolonia genoß also, und das kann man mit Fug und Recht behaupten, in der ganzen Stadt oder, um genauer zu sein, in der halben Stadt, nämlich bei der Mehrheit der Männer, einen einzigartigen Ruf.
Hinzu kam, daß sie mit ihren 35 Jahren noch sehr apart aussah, was dem Umstand zu schulden war, daß niemals ein Kind ihren Leib verlassen hatte und so ihrer Figur und ihrem floralen Aussehen, schädlich sein konnte. Frühmorgens reinigte die späte Schöne sorgfältig ihre wie Perlmutt glänzenden Zähne mit fein zerstoßenem Salz, schminkte dezent ihr helles Gesicht, das dem einer auf Pappelholz gemalten italienischen Kurtisane glich, bestrich ihre fleischigen, ovalen Lippen mit einem zinnoberroten Balsam, den sie von einem venezianischen Händler bezog, puderte ihre natürlichen sonnenblumenblonden Haare, die eher einem Engel, denn einer Venusdienerin zugestanden hätten und begab sich so, wie gesagt, außer sonntags, glänzend schön und verführerisch in den Dienst begierlicher Männer.
Madame Ampolonia, die Mutter Oberin, wie man sie zweideutig in Anlehnung an die Oberin eines Klosters auch nannte, hatte auf den späten Gast gewartet. Sie war mit einem veilchenfarbenen Schlafgewand gekleidet, als sie nach dem fünfarmigen Kerzenständer griff. So leise sie konnte schob sie den schweren eichenen Riegel der Tür beiseite, drehte vorsichtig den Schlüssel im Schloß herum und zog den späten Gast mit einem geübten Griff ins Haus.
Amtsrichter Doktor Paulus Ernestus Herodes, von Kopf bis Fuß in einen schwarzen Habit gekleidet, wollte nicht erkannt werden, denn er war nicht im Dienste Justitias unterwegs, sondern um seiner geilen Wollust zu frönen. Doch es trieb ihn nicht zu irgendeiner Schönfrau, um seine Hitze abzukühlen, nein, er wollte zu einer ganz bestimmten, er wollte zu der schönsten von ihnen, er wollte zu Rebecca Langhaar, einem jungen, rotblonden Weib von gerade zwanzig Jahren. Ihr war der Amtsrichter an Haut und Haaren und besonders mit seiner Virilia verfallen. Nur ihr gelang, was sonst keiner gelang, und sooft es ihn gelüstete, ließ er in aller Heimlichkeit seine Spitze von ihr abstumpfen.
Amtsrichter Herodes machte seinem Namen alle Ehre. Er war ein Mann von vielleicht Anfang, Mitte fünfzig, mit einem halbkahlen Kopf, aschgrauen Haaren, grauen, beinahe hartherzigen Augen, dünnen Lippen, fahlem Teint, einem adrigen, weißen Körper, schmalen, weichen Händen und einer quäkenden Stimme, aber in seiner Funktion als Gräflich Schwarzburgischer Amtsrichter beinahe ein Gott, ein böser Gott, ein Dämon schlimmster Art.
Er bestimmte über Sein oder Nichtsein, herzlos aber „ganz formell im Sinne Justitias“, wie er immer mit rollenden Augen und hochgezogenen Schultern zu sagen pflegte, und darin lag seine Stärke: Niemand konnte ihn in seinem böswilligen Tun aufhalten, nicht einmal Justitia selbst, zu gut und zu lange hatte er neben der Philosophie die Jurisprudenz an den Universitäten Heidelberg und Tübingen studiert. Er promovierte zum Doktor der Rechtswissenschaft und kam irgendwann nach Arnstadt. Mit schmeichlerischen Worten gelang es ihm irgendwie zu seinem Amt zu kommen, und mehr als einmal hatte man versucht, ihn aus diesem zu drängen, wiewohl erfolglos. An denjenigen, die es versuchten, übte er furchtbare Rache. Zwischen ihm und Ihre Gnaden dem Grafen Günther zu Schwarzburg, Herrn zu Arnstadt, stand nur der Gräfliche Kanzler, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich auch dieses Amtes bemächtigen würde … Herodes beging keine Fehler, zumindest konnte man ihm keine nachweisen.
Mit den Jahren scharte er eine Gruppe von speichelleckenden Lakeien um sich, die ihm getreu und untertänig zu Diensten standen, angefangen beim Amtsschreiber Thomas Kropf, den man wegen seiner blassen Gesichtsfarbe und leblosen wasserblauen Augen nur „Fischauge“ nannte, über den Amtsschösser Schilling, einen erbarmungslosen Geldeintreiber (allein der Teufel weiß, wie viele Gulden in seiner Tasche verlorengingen) bis hin zum Verwalter des Frohnhofes, Valten Stürzbecher, einem brutalen Mann ohne Benehmen, aber mit einer unglaublichen Härte zu den gemeinen Leuten.
Herodes brachte viele von ihnen um ihr Geld und ihre Existenz, und wenn ein Familienvater im Schuldturm zu verhungern drohte, zuckte er nur teilnahmslos mit den Schultern. Gleichwohl vergaß er nie, traten weinend die Frauen der Betroffenen an ihn heran, laut sein Bedauern darüber auszudrücken, daß sie das schicksal so hart getroffen hatte, aber er könne als Amtsperson nicht über seinen Schatten springen und würde er hier beigeben, verlöre er sein Gesicht. Dieses falsche Gerede vermischt mit einem unerträglichen Juristendeutsch versetzte den armen Menschen einen zusätzlichen Schlag ins Gesicht. Er bereicherte sich an Witwen und Waisen, er erfand immer neue „Gebühren“ und trieb so die Leute in die Armut und damit in die Verzweiflung. Besonders übel hielt er es aber mit den papistischen Schwestern vom Orden der heiligen Märtyrer, die seit einigen Jahren mit Duldung des Grafenhauses vor dem Erfurter Tor eine Leprose unterhielten. Lief eine Stiftung oder ein Legat ein, mußten die Schwestern dies unverzüglich melden und die Hälfte der Summe als Abgabe an den gräflichen Fiskus entrichten. Daß ein Großteil davon direkt in die Kasse des Herrn Amtsrichters gelangte, versteht sich von selbst.
Bittschriften oder gar Protestationen an den Grafen zu richten war aussichtslos, denn meist ließ Herodes sie im Feuer seines Kamins in Rauch aufgehen. Wenn doch einmal eine Supplike in die Hände des Grafen gelangte, wußte sich der Winkeladvokat mit spitzer juristischer Zunge zu verteidigen, und alles blieb, wie es war, zumal ein Teil der Einnahmen aus dem Amtsgericht direkt in die Kasse des Grafen floß.
Ein Rabenvogel hackt dem anderen Rabenvogel kein Auge aus, und je älter diese Vögel werden, um so schlimmer wird das. Paulus Ernestus Herodes als Schurken zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung. Und stank diese amtsrichterliche Ungerechtigkeit auch zum Himmel, so fand er in seinem schändlichen Tun doch so manchen gewissenlosen Helfer und konnte den einen oder anderen Bürger seinen Freund und Vertrauten nennen. Das war eine traurige Wahrheit.
Kurzum: Wer in diesen Tagen mit der Bösartigkeit hätte buhlen wollen, dem wäre das Schlafgemach des Amtsrichters eine gute Empfehlung gewesen und ganz nebenbei wäre man hier auch auf die Töchter der Bosheit gestoßen, die Falschheit, Hinterlist und Lügenhaftigkeit, die bereitwillig vor jedem ihr Bettlaken aufschlugen, der eine amtsrichterliche Verfügung vorweisen konnte.
Heute wollte der alte Lüstling, wie er es so oft in den letzten Monaten getan hatte, seiner Schönfrau beiwohnen und ihr persönlich zum Lohne ein goldenes Diadem verehren, ein wertvolles Stück, welches er bei Meister Hans Schmid hatte fertigen lassen. Die dazu notwendigen Gulden wußte er bei seinem letzten „Verfahren“ gekonnt einzustreichen.
„Denkt daran, Madame!“ flüsterte er der Frau Oberin mit einem drohenden Unterton ins Ohr. „Kein Wort zu niemand!“
„Ja, Herr, Ihr wart niemals hier, niemals, ich schwöre es.“
„Gut.“
Der Herr Amtsrichter schob die schwarze Kapuze nach hinten. Seine blanke Stirn kam zum Vorschein. Sie glänzte im Kerzenlicht wie ein fahler Mond. Die grauen Augen des alten Ungeheuers funkelten vor Lust und Begierde.
„Wo ist sie?“
„Oben in ihrer Stube. Aber Ihr solltet leise sein. Ich habe die anderen Schönfrauen alle zu Bett geschickt. Sie wartet auf Euch.“
Amtsrichter Herodes schluckte den Speichel, den sein Mund ausfüllte, hinunter. Er kannte den Weg nach oben. Mit zittrigen Fingern griff er sich eine der Kerzen von Madames Leuchter und lief mit bedächtigen leisen Schritten in das erste Geschoß. Dort erwarteten ihn fünf Türen, jeweils zwei an den Seiten und eine am Ende des Flures zum heimlichen Gemach.
Vor der Tür seiner Angebeteten hielt er inne. Vorsichtig preßte der Amtsrichter sein rechtes Ohr an die Tür um vielleicht das Rascheln der Bettlaken oder ein Summen zu hören, doch hinter den dünnen Bohlen herrschte Stille. Nun schickte Herodes, einem bocksbeinigen Satyr gleich, der unbekleidete Nixen mit lüsternen Augen beobachtete, einen forschenden Blick durch die Ritzen, die feine Lichtstrahlen nach außen dringen ließen. Aber zu seiner größten Enttäuschung konnte er nichts erspähen, lediglich die Schatten des Möbiliars. Doch dann spürten seine geschärften Sinne, daß sich etwas im Zimmer bewegte.
Sie wartet auf mich, auf mich, ihren Herrn und Gönner!
Vorsichtig schob er die Tür auf. Natürlich war sie offen! Die gut geschmierten Türangeln schwiegen wie alte Vertraute.
Er hätte kaum geglaubt, in seinem Alter noch so heftig von der Wollust ergriffen zu werden, aber es hatte ihm in den letzten Jahren immer an Zeit und an Möglichkeiten gefehlt. Nun aber, mit der Bestallung zum Amtsrichter und den daraus erwachsenden Talern, besaß er endlich beides, um seinen Gelüsten nachzugehen.
Inmitten eines flackernden Lichtscheines lag unbekleidet Rebecca Langhaar mit angezogenen Beinen auf ihrem Bett. Lasziv hielt sie leicht ihre Schenkel geöffnet und gewährte dem spitzen Bock einen kurzen Blick auf ihre Venus. Als sie seine gierigen Augen bemerkte, schloß sie die Schenkel und warf sich mit dem Kopf nach hinten, das gelockte lange Haar über das Kopfkissen breitend.
„Kommt, schöner Mann, ich warte schon auf Euch“, hauchte sie.
Des Amtsrichters dicke Nasenhaare vibrierten wie der Flügelschlag einer Krähe. Er wollte sie riechen …
Herodes streifte sich die Kleider vom Leibe und sprang zu seiner Kebs ins Bett. Dort vereinigten sie sich fleischlich, sie still, er dumpf stöhnend. Nachdem er seine Brunst zwischen ihren Beinen abgekühlt hatte, legte er sich erschöpft neben sie.
Rebecca Langhaar wartete einen kurzen Augenblick, stand dann auf und ging zu ihrem Tisch, auf dem ein Becher und eine Kanne Wein standen. Sie goß sich ein und trank.
„Habe ich mir nicht wieder ein kleines Geschenk verdient?“ fragte sie mit bezaubernder Stimme und hintergründigem Lächeln.
Herodes grinste wie ein alter dummer Narr, im Glauben, die Hure sei ihm tatsächlich verfallen, stieg ebenfalls aus dem Bett und entnahm der kleinen Manteltasche, die auf der Innenseite des kostbaren Samtes verborgen aufgenäht war, ein goldenes Diadem.
„Komm her, meine Göttin! Das ist für dich.“ Und mit diesen Worten legte er es der Schönfrau um den Hals.
Kaum waren ihre Finger über das Halsband geglitten, sagte sie in honigsüßem Ton: „Ich erwarte ein Kind, von dir, Geliebter!“
Herodes glaubte nicht verstanden zu haben.
„Was hast du gesagt?“ fragte er, mehr um sich nochmals von dem Unerhörten zu vergewissern.
„Ich erwarte ein Kind, ein Kind, von dir!“ Rebecca Langhaar sprach es diesmal deutlich lauter und mit einer freudigen Erwartung aus. Doch statt in ein erfreutes Gesicht, welches man sich als Frau wünscht, ja förmlich ersehnt, wenn man dem geliebten Manne eine solche Nachricht mitteilt, sah Rebecca in ein erschrockenes, fahles altes Männergesicht und wenn in diesem Augenblick Charles Le Brun, der große französische Maler im Raum gewesen wäre, hätte er in des Herodes furchtbarer Larve eine ausgezeichnete Vorlage für sein grandioses Werk zur Seelenmalerei gefunden. Der alte Lüstling taumelte zurück, als hätte ihn das Leder eines Ochsenziemers getroffen.
Mit trockener Stimme antwortete er: „Madame Ampolonia wird schon Abhilfe schaffen!“ Und gab ihr damit ohne Umschweife zu verstehen, daß sie sich den Balg fortmachen lassen solle.
Doch Rebecca Langhaar dachte überhaupt nicht daran, sich das Kind von einer Frau, die so etwas im Geheimen und auf verbotene Weise macht, nehmen zu lassen. Außerdem würde ihr der glänzende Aufstieg in die höhere Gesellschaft nur als Gemahlin des Herrn Amtsrichters und Mutter dessen Kinder gelingen. Das war ihr nur allzu klar.
„Ich werde es austragen und du wirst für das Kindlein sorgen, als Vater und mein Ehegemahl!“
„Willst du mich erpressen?“ fragte Herodes mit einem scharfen Unterton.
„Eine Hure als Gemahlin des Amtsrichters?“
Rebecca Langhaar wandte sich von ihrem ins Alter gekommenen Galan ab und warf ihm ein trotziges „Das Kind wird mein!“ hin.
Herodes wurde zunehmend von Furcht und Wut erfaßt. Was bildet sich diese kleine Hure nur ein, ihn, den gräflichen Amtsrichter, erpressen zu wollen? Glaubt dieses dreckige Hurenstück allen Ernstes ich würde sie zur Gemahlin nehmen, sie, eine der übelbeleumdetsten Weibspersonen Arnstadts könnte die Mutter meiner Kinder sein? Baden Singvögel in Kloaken?
Bah, vielmehr werde ich die Tochter des Herrn Rentmeisters heiraten. Das ist beschlossene Sache. Herodes wollte zudem mit keinem Fünkchen daran glauben, daß das Kind von ihm war. Wahrscheinlich hatte die verteufelte Schlange sich das Hurenkind von irgendeinem Freier machen lassen und wollte ihm das Kuckucksei nun unterschieben.
„Den Balg hast du dir doch machen lassen, um mich reinzulegen, du verdammte Hure!“
Rebecca Langhaar zog sich ihren Schlafpelz über, den ihr der Herr Amtsrichter beim letzten Besuch verehrt hatte.
„Nein, mein lieber Paulus, das Kindlein ist von dir, du bist der einzige, der als Kindsvater in Frage kommt, glaub mir. Und was regst du dich auf, hast du nicht erst letzten Freitag zu mir gesagt, wie schön und liebreizend du mich findest? Und wie gern du eine Familie hättest? Na, hast Du? Ja, das hast du! Und eine Familie, die schenke ich dir jetzt!“
Doch Amtsrichter Paulus Ernestus Herodes dachte nicht im mindesten an eine Familie noch an einen Kegel mit ihr und schon gar nicht an eine Kopulation mit einer stadtbekannten Hure! Sie sollte nur seiner Lust dienen, ihm gelegentlich die Spitze abstumpfen, ihm in seinen fleischlichen Begierden zu Willen sein. Welch eine Schande für ihn, wenn die unschöne Sache herauskäme! Welch ein Spott würde über ihn ziehen, welch ein Hohn! Er würde zur lächerlichen Witzfigur, zum Possenreißer, zum Gassengespött! Die Schulknaben würden lustige Reime auf ihn verfassen und die Spatzen würden sie von den Dächern und aus den Rinnsteigen pfeifen. Jede alte Vettel würde ihn auf der Straße bespucken. Bettler, Herumstreuner und Müßiggänger, ja das ganze Siechenpack würde mit krummen Fingern auf ihn zeigen und johlend rufen: „Seht, der wohllöbliche Herr Amtsrichter, Vater eines Kuckuckskindes. Kuckuck, Kuckuck, Kuckuck!“ Und alles nur wegen einer Metze? Wegen dieser Hure hier?
Herodes schlug die auf schwangerem Fuß Gehende mit der rechten Hand ins Gesicht. Sie schlug zurück.
„Was? Du wagst es, mich, den Amtsrichter, zu schlagen?“
Herodes holte erneut aus. Nun war der Schlag deutlich härter. Rebecca Langhaar traten Tränen in die Augen. Sie versuchte ihn abzuwehren, doch das alte Ungeheuer traf sie an der Stirn. Sie wankte, hielt sich am Tisch fest, sank aber doch in die Knie.
Herodes war außer sich vor Zorn. Eine unsägliche Abscheu, gepaart mit haßerfülltem Widerwillen hatten ihn übermannt. Und in diese gefährliche Mischung gesellte sich Angst, Angst vor Blamage, vor Spott und Hohn.
Plötzlich trat der Teufel, der schon lange im Zimmer auf seinen Moment gewartet hatte, ganz nahe an ihn heran.
„Paulus, wenn du jetzt nicht entschlossen handelst, ist alles verloren. Das ist dir doch klar, oder?“ Die Stimme kam von einem Freund.
Herodes versetzte Rebecca etliche harte Faustschläge ins Gesicht und an die Schläfen. Die Schönfrau verlor für einen Augenblick die Besinnung und fiel zu Boden. Alle Kraft zusammenraffend kniete sich Herodes auf die Brust von Rebecca, griff nach ihren langen Haaren, wand sie zu einem groben Seil und umschlang mit ihm im Bruchteil weniger rieselnder Sandkörner den Hals der Ohnmächtigen.
Rebecca gurgelte, röchelte, ihre Augen traten weit heraus. Ihr Bewußtsein kehrte zurück. Sie ahnte, was das richterliche Ungetüm mit ihr machen wollte. Sie versuchte um Erbarmen zu flehen, sie versuchte mit ihren Fingern zwischen Haar und Hals zu kommen, um die tödliche Strangulation abzuwehren, allein es war alles vergebens. Der Amtsrichter zog an dem festen Haar wie ein Wahnsinniger, dabei den Kopf der Schönfrau fest an den Boden pressend. Das lange fuchsige Haar des jungen Weibes wurde zum Galgenstrick, zur blutroten Henkersschlinge.
„Du verdammte Hure!“ zischte Herodes. „Du verdammte Hure! Du elende Kebs!“ Seine Wut war schier grenzenlos. Zwar trat Rebecca noch mit den Beinen, strampelte, wie ein Kind, das man unter Wasser taucht, doch es war eher der verzweifelte Akt einer zum Sterben Verurteilten.
Und als der Schönfrau ein dicker Tropfen Blut aus der Nase quoll und ihre Augen erstarben, wußte er, daß sie tot war.
Auf des Amtsrichters Stirn standen Schweißperlen. Dieses Stück Arbeit hatte ihn gehörig Kraft gekostet.
„Du mußt jetzt wieder zu einem klaren Verstand kommen!“ forderte mit Nachdruck die Stimme des Freundes.
„Ja, das werde ich.“ sagte Herodes, mehr zu sich selbst.
Er erhob sich von dem leblosen Körper und kleidete sich rasch an. Dann durchstreifte er mit den kalten Augen eines Mörders das Zimmer. Mit einem gezielten Griff zog er die kleine hölzerne Lade, in der Rebecca ihre kleinen Nebeneinnahmen und Geschenke verwahrte, unter dem Bettkasten hervor und öffnete sie. Er entnahm ihr ein silbernes Ringlein, welches er Rebecca vor zwei Wochen geschenkt hatte, und steckte es in seine Manteltasche. Plötzlich sah er in der Lade einen kleinen Diamantring funkeln. Er betrachtete ihn sich genauer und erkannte im Schein der Kerzen klar und deutlich die eingeritzten Initialen A. v. I. Seine Lippen formten sich zu einem bösen kalten Lächeln.
„Siehst du, mein lieber Paulus, alles wendet sich zum Guten. Da wird wohl jemand anders für diese böse Tat büßen müssen!“
„So wird es sein.“ flüsterte Herodes und legte den Ring in die Lade zurück.
Nun fiel sein Blick auf die Leiche. Er kniete sich nieder und nahm der Entleibten das Diadem ab. Auch das ließ er in seine Manteltasche gleiten.
„Laß sie verschwinden, damit du Zeit bekommst!“ raunte ihm wieder vertrauensvoll die Stimme zu.
Ja, sie muß weg, dachte er und im festen Glauben unbeobachtet zu sein, ging er ans Werk.