Blide und Mauer – Waffe und Ziel: Zur Effizienz (Teil 9)

Kommen wir abschließend zum wichtigsten Punkt unserer Betrachtung, zu dem Zusammenhang zwischen Waffe und Ziel, Wurfmaschine und Burgmauer. Eindrucksvoll haben Thüringer Archäologen den Untergang der thüringischen Wysburg, einem „Raubritternest“, durch Erfurter (?) Kontingente und einer schweren Blide (mit darauffolgender Schleifung) untersucht und dokumentiert und den einfachen aber bisher doch schwer zu erkennen Zusammenhang zwischen Blide und Burgmauer aufgezeigt. Das Ergebnis ist eindeutig und läßt sich wohl auf die meisten Einsätze von Bliden im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ableiten (Burg- oder Stadtmauern im Heiligen Land sind hier ausgenommen!). Aufgrund der Fähigkeit der Blide Tag und Nacht im direkten Wurf treffsicher mit einem kalibrierten Blidenstein immer auf dieselbe Stelle zu werfen, kann man aufgrund der Geschoßgeschwindigkeit plus Geschoßgewicht und Härte des verwendeten Materials (Kalkstein, Granit)2 genau das untere Drittel einer Burgmauer anvisieren.

Hier eine Abbildung aus dem „Kanonenbuch“ des Johann Bengedans (um 1450), der das direkte Richten (Anvisieren) kennt und empfiehlt, für eine effektive Zerstörung eines Turmes das untere Drittel (!) anzuvisieren und zu beschießen. Bengedans zeigt in seinem Buch auch eine Abbildung einer Blide, d. h. der Büchsenmeister kannte sich auch mit diesen Maschinen aus. Zudem wußte er nicht nur Schießpulver zuzubereiten sondern er kannte auch die Gesetze der Ballistik.

Neben ihrer Treffgenauigkeit und Zerstörungskraft konnten sie zudem eine hohe, im Artilleristendeutsch genannte, „Feuer- und Bekämpfungsdichte“ erreichen.3

Nach einer geraumen Zeit zerstören die Blidensteine die äußere Schale und drücken das Verfüllmaterial (oft nur mit wenig Kalkmörtel vermischte Steinabschläge, Mörtelreste u. a. ) nach innen bzw. es bröselt heraus. Es entsteht ein Hohlraum im unteren Bereich der Burgmauer (wenn im Schalenmauerwerk durch Auswitterung und Tiernester etc. nicht sogar schon Hohlräume vorhanden sind), so daß es zum Einsturz (Abknicken) der darüberliegenden Burgmauer kommt. Nun ist eine Bresche geschlagen, die vom Feind nur schwer zu verteidigen ist, da der Angreifer in der Praxis über mehr Fußkämpfer verfügt. Die Belagerer der Wysburg nutzten einen Berg in 300 Meter Entfernung der Burg, der heute noch Bleidenberg genannt wird, und von dem sie aus in ungefähr gleicher Höhe die Burgmauer bewarfen. In einem Abstand von nur 5 Metern fanden die Archäologen 31 Blidensteine (60-80 Kg Gewicht, eine schwere Blide) im Burggraben unter dem eingestürzten Mauerabschnitt. Interessant ist zudem, daß man auch Feuerwerk in die Burg warf. Man wollte also von vornherein die Burg zerstören, nicht besetzen. Tatsächlich wurden nach erfolgreicher Einnahme alle Mauern der Burg im unteren Drittel ausgehöhlt und zeitgleich durch Brandsätze zum Einsturz gebracht. Eine Burgschleifung in wenigen Minuten, ein völlig kontrollierter Einsturz. Burgherr und Besatzung, offensichtlich den Handel störende „Landfriedensbrecher“, wurden hingerichtet. Das militärische, sprich politische Ziel war erreicht.

Zuammenfassung:

Bei den Bliden handelte es sich um schwere Fernwaffen, die aufgrund ihrer Größe und der Kosten nur bei Belagerungen von Burgen und Städten zum Einsatz kamen.4 Auch eine gewisse psychologische Wirkung möchte ich nicht in Abrede stellen. Gleiches gilt für die vielfältig in den Quellen genannten anderen Einsatzmöglichkeiten, wie das Werfen von Urin- und Kotfässern, toten Tieren und Pestleichen (biologische Kriegsführung, Caffa 1345), Bienenkörben (biologische Kartätschen), menschlichen Köpfen und Gefangenen (reine Terrorakte, um die Gegner einzuschüchtern)5, Brandtöpfen und was der menschlichen Phantasie noch so entspringen konnte.

Das alles rechtfertigt aber nicht den mit einer Blide verbundenen enormen Aufwand und die Kosten! Keine Stadt, kein Feldherr konnte sich eine oder gar mehrere Bliden leisten, um den Gegner etwas zu „erschrecken“ oder vielleicht den Damen die Kemenate zu zertrümmern.

Bliden konnten mehrere Gefechtsaufgaben erfüllen: Die schwereren Bliden wurden eingesetzt, um ausgewählte Abschnitte von Burg- und Stadtmauern, Tore und Türme im direkten Werfen zielgerichtet zu zerstören bzw. sie zum Einsturz zu bringen. Das mittelalterliche Schalenmauerwerk war einem kontinuierlichen Bewurf von harten Blidensteinen nicht gewachsen und gab aufgrund seiner Bauwerkweise nach einer gewissen Zeit nach. Die damit verbundene „Breschelegung“ diente dem leichteren Eindringen der eigenen Fußkämpfer in die feindliche Burg oder Stadt. Desweiteren konnten mit schweren Bliden biologische und chemische Kampfstoffe in die gegnerischen Plätze geworfen werden und so Verluste beim Feind herbeiführen, die ebenfalls eine Übergabe der Burg oder Stadt ermöglichte. Auch als makaberes Hinrichtungsmittel, ähnlich den Kanonenhinrichtungen der Briten in Indonesien, wurden schwere Bliden gebraucht.

Die leichteren Bliden wurde wohl hauptsächlich zur gezielten Bekämpfung leichterer, fester Ziele gebraucht und dienten, ebenso wie die schweren Bliden, der sogenannten „Artillerievorbereitung“, dem „sturmreif schießen“. Der Einsatz von Bliden gegen Fußtruppen war nicht effektiv, da der Feind den sich nähernden Blidensteinen leicht ausweichen konnte. Das habe ich selbst erlebt. Zudem war ein flexibles Zielen mit Bliden nicht möglich. Waren die Wurfmaschinen eingerichtet, gab es keine Seitenkorrekturen mehr. Die psychologisch demoralisierende Wirkung auf den Feind und motivierende Wirkung auf die eigenen Truppen stand bei Einsätzen von Bliden höchstwahrscheinlich nicht im Vordergrund, kann aber als „Nebeneffekt“ angesehen werden. Erst mit dem Aufkommen der schweren Kanonen in der Mitte des 15. Jahrhunderts wurden die Bliden als mauerbrechende Waffen abgelöst.

Die Effizienz mittelalterlicher Bliden muß bei militärisch objektiv guten Bedingungen für ihre Nutzer als sehr hoch eingeschätzt werden. Der Aufwand einer Belagerung mittels einer oder mehrerer Bliden, die damit verbundenen Kosten und die zahlreichen Nachweise von Bliden- und Blideneinsätzen belegen die Überzeugung ihrer Nutzer von einer hohen Effizienz bzw. einem hohen militärischen Nutzen. Das heißt aber nicht, daß eine oder mehrere Bliden ein Garant waren für eine erfolgreiche Belagerung, auch nicht im Verbund mit anderen Belagerungsmaschinen oder Techniken. Trotz des teuflischen Werkzeugs gelang es Kaiser Otto IV. nicht, die Runneburg oder besser, den festen Willen ihrer Verteidiger, zu brechen. Waffen brechen keinen Willen.

1noch offen!!

2In der Artillerie wurden imme rwieder Geschosse mit extrem gehärtetem Material verschossen, z. B. jene gefürchteten Unterkalibergranaten.

3„Unter Feuerdichte versteht man die Anzahl von Granaten (in unserem Fall Blidensteinen-d. Verf.), die in einer gewissen Zeit auf eine gewisse Zielfläche verschossen werden. Sie ist eine Kennziffer der Feuerintensität. Die Feuerdichte hat große Bedeutung für die Feuereffektivität. (…) Praktische Erfahrungen und theoretische Berechnungen zeigen, daß nicht nur die auf das Ziel verschossenen Granaten, sondern auch die für den Verschuß der Granaten benötigte Zeit das Schießergebnis beeinflussen. Psychologische Wirkung auf den Gegner haben sowohl seine Verluste, als auch die Zeit, in der er sie erlitten hat.“ In: Schießen der Artillerie. Batterie/Abteilung. Als Lehrbuch für die Nationlae Volksarmee bestätigt. Hrsg. v. einem Autorenkollektiv unter Leitung von Oberst Günter Bula, Berlin 1989, S. 88.

4Hier sei an die vielen Miniaturen erinnert, die in ihrer technischen Widergabe so daneben liegen, vgl. Abb.

5Hier sei an die Hinrichtungsmethode der Briten in Indien erinnert, die Gefangene vor die Kanonen spannten.