Bliden im Einsatz (Teil 8)

Beim erfolgreichen „Landfriedensbundeinsatz“ der Aachener Blide 1385 gegen die Herren von Reifferscheid sind Rechungsbelege erhalten. Dabei wurden über 200 Blidensteine und etwa 100 Büchsensteine geworfen und geschossen.1

Blidensteine von Arnstadt, datiert 1342.

Bereits 1366 brachen die Kölner Burg Hemmersbach, d. h. sie schossen die Burg sturmreif, legten eine Bresche und schickten ihre kampferfahrenen Fußtruppen hinein. Nachdem die Burg erobert war, wurden 13 „Raubritter“ am Heiligen Abend gerädert. Aus einem Rechnungseintrag erfahren wir, daß es Steinmetzen waren, die „dat huss zu brechen“ hatten. Das geschah planvoll und höchst effektiv. Aus dem äußeren Schalenmauerwerk wurden rundherum Steine herausgebrochen und mit dünnen Holzstäben ausgesteift und mit Reisig verfüllt. Nachdem dies geschehen war, wurde an vielen Stellen gleichzeitig Feuer gelegt, die Abstützhölzchen brachen und es entstanden gleichzeitig zahlreiche Hohlräume und Burchkanten; die Burg stürzte planvoll innerhalb eines kurzen Moments ein.2

Allerdings gibt es auch eine Quelle, die die Wurfleistung einer Blide in Frage stellt: Als Bischof Konrad von Hochstaden in seiner zweiten Fehde Köln mit einer bliden belagert, warf sie nur wenig 5 scheferstein durch. Es ist müßig darauf, auf die Effizienz der Blide zu schließen; der Chronist war ein Parteigänger Kölns … Hätte der Bischof faules Wasser, verweste Kühe oder Feuer hineinwerfen lassen, hätte der Chronist sicherlich nicht so sehr gespottet. Aber was hätte der Bischof für einen Nutzen gehabt, seine Stadt biologisch oder chemisch zu zerstören? Wie so etwas enden kann, zeigt die Belagerung der Burg Schwanau. Die verbündeten Städte Straßburg, Bern, Luzern, Basel und Freiburg setzten 1333 mindestens eine Blide gegen die Burg Schwanau des Walther von Geroldeck ein, der sich über fünf Wochen halten konnte. Die Belagerer warfen Brandgeschosse sowie Dung und Menschenkot in die Burg. Walther von Gerodleck fiel. Von der 60köpfigen Besatzung konnten sich sieben Mann freikaufen, der Rest wurde hingerichtet, wobei man einen Schmied und einen Zimmermann zusammenband und verschleuderte. Die Blide war also in der Lage etwa drei Zentner zu werfen.3

Desweiteren darf bei allen Überlegungen zur Effizienz mittelalterlicher Wurfmaschinen nie vergessen werden, daß sie bei Belagerungen nur zur unmittelbaren Unterstützung des gesamten Belagerungsheeres eingesetzt wurden und sie im Verbund mit anderen Waffengattungen gesehen werden müssen. Zahlreiche Quellen belegen das Ineinandergreifen der unterschiedlichsten Belagerungsmaschinen und Techniken wie Bliden, Ebenhöhen, Katzen, Widder, große Armbrüste, Minierungen und Sturmleitern und ab dem Mitte des 14. Jahrhunderts auch Pulvergeschütze. Besonders deutlich wird das bei der Belagerung der Burg Vellexon 1409-1410.

An dieser Stelle lohnt es sich einen Blick auf die Einsatzmöglichkeiten zu werfen.

Für den Einsatz von Bliden gelten auch andere moderne Fachbegriffe der Artillerie, wie z. B. die Bekämpfungsmöglichkeiten Vernichten (Einbuße der Kampffähigkeit, z. B. Vernichtung einer anderen Blide, einer Wallarmbrust), Zerstören (Vernichten der in befestigten Anlagen befindlichen Kräfte und Mittel sowie dem Unbrauchbarmachen dieser Anlagen), Niederhalten von Zielen (maximale Behinderung gegnerischer Kräfte) sowie das Zermürben lebender Kräfte (psychologische Wirkung). Die Hauptaufgabe der schweren Bliden lag eindeutig in der Zerstörung von Mauern und Toren, um einen Sturmangriff einleiten zu können.

Die Beschreibungen von Belagerungen mittels Bliden in deutschen Chroniken sind mehr als zahlreich und liefern interessante Informationen über die Einsatzmöglichkeiten und die zu bekämpfenden Ziele. Als König Adolph von Nassau am Ende des 13. Jahrhunderts die Creuzburg belagerte, ließ er „eyne bliden“ (die an Gebäuden und Dächern großen Schaden anrichtete) „wol zwene armbrost schosse vonn der stat“ aufstellen, also in einer Entfernung von etwa 3-400 Metern.4 Kurze Zeit später belagerten die Eisenacher die Wartburg „… unde hiben eyne bliden stat yn den hartin bergk, die noch do stehit zwuschen der Isenechir burgk unde der vihe burgk, unde satzten eyne bliden dar bey der blebin sie nahe unde worffin dormete zu Warpergk yn.“ 5Als im Jahre 1342 Erfurter und landgräfliche Kontingente das schwarzburgische Arnstadt belagerten, kommen Bliden am Wachsenburger Torturm zum Einsatz. Die 15 Blidensteine (zwei Kaliber) lagern heute im Schloßmuseum und wurden vom Autor dokumentiert.6

Der Chronist Johann Rothe beschreibt das Geschehen wie folgt: „… sie zogen vor Arnstete unde belagin das mit gewalt unde taten der stat an fruchten unde an wyngarten grossen schaden unde traten der stat zu mit storme unde zu worffen die torme unde die muwirn mit bliden (hier eindeutig Mehrzahl) unde liessen do wergk machin, dor mete sie meynten die stat zu gewynnen.“ Artillerielehrbücher nennen diese Art des Beschusses „Zerstörungsschießen“. Die Belagerung blieb erfolglos, da ein Entsatzherr des Grafen Günther von Schwarzburg die feindlichen Truppen in einer Feldschlacht zersprengen konnte.7 Als Kuriosum gilt die bekannte Geschichte von Markgraf Heinrich von Meißen und seiner willkürlichen Bestrafung eines abtrünnigen Eisenacher Ratsherren: „… den liess her yn die bliden, die vor Warpergk stundt, legen unde on yn die stat Isenache werffen …“8 Das Werfen von Gefangenen wird chronikalisch des öfteren erwähnt.

2. Exkurs: Eine interessante und leider bisher wenig beachtete Quelle für den örtlichen Nachweis von Bliden und deren Einsatzmöglichkeiten stellen Urkunden zum Städtewesen dar. Die potentiellen Gegner des aufstrebenden Bürgertums, die mit Bliden bekämpft werden sollen, Landfriedensbrecher, also niedrige Adlige, lassen sich eindrucksvoll in den Landfriedensbündnissen des 14. Jahrhunderts finden. Am 2. September 1346 schließen Erzbischof Otto von Magdeburg, die Bischöfe von Halberstadt und Hildesheim, der Herzog Rudolf von Sachsen sowie eine große Zahl Grafen und Herren sowie die Städte Goslar, Magdeburg, Halle, Halberstadt, Quedlinburg und Aschersleben für die Dauer von einem Jahr einen Landfrieden. Für die genannten Städte verpflichten sich im Falle eines Rechtsbruches neben Bewaffneten auch mit jeweils einer Blide zur Verfügung zu stehen.9 Am 20. Februar 1353 schließen in Lübeck Herzog Albrecht und Johann von Mecklenburg, Graf Otto von Schwerin und die Städte Lübeck, Rostock, Wismar, Grevesmühlen usw. auf zwei Jahre einen Landfriedensbund. Für die Städte Lübeck, Rostock und Wismar sind Bliden genannt. („teyn schutten mit eneme dryvende werke unde mit ener blyden unde mit werkmesteren, der men darto behovet etc.“).10

Doch unter den potentiellen Landfriedensbrechern taucht auch ein König auf: Als im Jahre 1361, im Vorfeld des Ersten Hanse-Dänemark-Krieges, die Hansestädte in einer Urkunde eindrucksvoll warnend ihre militärischen Kontingente aufzählten, die sie im Falle der Not gegen den Dänenkönig Waldemar IV. Atterdag ins Feld führen würden, finden sich neben Schiffen, Bewaffneten und Belagerungswerken für Lübeck, Rostock, Wismar (Blidenstraße), Stralsund, Kolberg und Stettin ebenfalls Bliden.11 Hauptsächlich dürften die Bliden in landesherrlichen und städtischen Interessen gegen Landfriedensbrecher zum Einsatz gekommen sein.

1Rathgen, a. a. O., S. 615f.

2vgl. die Beschreibungen zur Belagerung und Schleifung der Wysburg in Thüringen.

3Rathgen, a. a. O., S. 620.

4Düringische Chronik des Johann Rothe. Hrsg. v. Rochus von Lieliencron, Jena 1859, S. 482.

5Düringische Chronik des Johann Rothe, a. a. O., S. 510.

7Düringische Chronik des Johann Rothe, a. a. O., S. 576f.

8A. a. O., S. 420.

9Urkundenbuch der Stadt Halle, ihrer Stifter und Klöster, Teil II (1301-1350), bearb. v. Arthur Bierbach, Magdeburg 1939, Nr. 752.

10Urkunden zur Geschichte des Städtewesens in Mittel- und Niederdeutschland. Band 2 (1351-1475), hg. v. Friedrich Bernward Fahlbusch u. Heinz Stoob, Weimar 1992, Nr. 318.

11G. F. Sartorius: Urkundliche Geschichte des ursprungs der deutschen Hanse. Hrsg. v. J. M. Lappenberg. Zweyter Band, Hamburg 1830, S. 495f. (CCXIIII).