Blidenmeister – Ingenieure, Zimmermeister, Architekten (Teil 6)
Zuständig für die Lagerung und den Einsatz der Bliden waren sogenannte Blidenmeister oder Werkmeister, die nicht nur als „Geschützführer“ während eines Einsatzes fungierten sondern auch die Maschinen selbst bauten, warteten und vielleicht sogar technisch verbesserten und damit mit anderen Meistern im Wettstreit lagen.1 Als Kaiser Otto IV. die „balliste“, wohl das teuflische Werkzeug von 1212 in seinem Testament den Kreuzfahrer nach Livland vermacht, ist es ein Herzog von Sachsen, der als Maschinenmeister benannt wird. Die Stadt Frankfurt bezahlte 1367 den Blidenmeister Dylman von Fulde für seine Dienste in der Fehde mit Philipp den Ältesten von Falkenstein, was dieser quittierte.2 Bereits für 1288 ist ein domus machinarum bezeugt. Namentlich ist für das Jahr 1337 ein Meister Burkhard, der Blidenmeister von Bern, belegt.3 Der Blidenmeister (blidenmestere) Lambert für Lüneburg ist für 1373 belegt.4 Um nur einige Beispiele zu nennen.
Blidenmeister waren gefragte Spezialisten. Heute wird das bei Hobbyhistorikern oft unterschätzt. Das Werfen mit Bliden war eine Kunst resp. Wissenschaft.
Geben uns die meisten Namensnennungen keinen Hinweis auf den Beruf des Blidenmeisters, der als Teil eines städtischen Kontingentes verstanden werden muß, so kann man doch von Zimmerleuten ausgehen. Für das Aufstellen der Kölner Blide 1366 werden Zimmerleute und Säger genannt. Deutlicher schält sich da der Blidenmeister Hans von Ratibor als Festungsbauer und Statiker heraus.
Kaiser Sigmund bittet am 3. Februar 1429 den Hochmeister des Deutschordens Paul v. Russdorff ihm möglichst bald für eine kurze Zeit den „Blidenmeister“ Hans von Ratibor zur Anlage von Festungswerken und zum Brückenbau zu schicken.5
Zwar wird Goedekin Volger im Rahmen seiner Erklärung von 1418 zur Anstellung als Büchsenmeister für Köln nicht explizit als Blidenmeister benannt, wohl aber versteht er es, die unterschiedliche Wirkungsart der Büchsen und Bliden deutlich zu unterscheiden: Er kann Feuer in Tonnen mit Bliden in eine Stadt oder ein Schloß werfen und auch dasselbe Feuer mit einer Büchse darein schiessen.6 Über das ballistische Wissen der Bliden- bzw. Büchsenmeister siehe weiter unten.
Zum Namen Blidenmeister: Ein Chorherr von St. Stephan zu Konstanz wird 1363 Ulrich genannte Blidenmeister bezeichnet. Am 11. März 1497 verleiht Landgraf Wilhelm [III.] Hentze Blidenmeister die landgräfliche Mühle oberhalb des Dorfes Kesterich. 7
Der Dienst an der Blide konnte – auch ohne Feindeinwirkung – gefährlich sein. Während der Belagerung der Stadt Tournay im Jahre 1340 zerbrach eine der Wurfmaschinen und tötete den „Stückmeister“ (maitre ingéneour), dessen Kopf nicht wiedergefunden wurde.8
3. Blidenhaus, Blidenhof, Blidenstraße
Die Lagerung und höchstwahrscheinlich auch Wartung der Bliden erfolgte in sogenannten Blidenhöfen oder Blidenhäusern. Blidenstraßen erinnern daran noch heute. In Erfurt, Mainz (1388)9 und Mühlhausen (auch Blidenviertheil)10 sind Blidenhöfe nachweisbar, für Frankfurt am Main 1331 ein Blidenhaus (gein dem Blidehuse)11 „Blieden=Häuser“ werden genannt für Köln (dann Zeughaus), Wismar12, Blidenstraßen in Wismar, Stralsund und Frankfurt. Die Pleydenwurffstraße in Nürnberg erinnert an die Malerfamilie mit dem artilleriegeschichtlichen Namen. Auch zu diesem Thema bringt die Forschung immer wieder erstaunliches zutage, wie der Beitrag von Martin Dolch „Ein Blidenhaus in Kasierslautern“ in der Festschrift für Jürgen Keddigkeit zum 65. Geburtstag zeigt. Das Blidenhaus von Kaiserslautern befand sich übrigends an einer äußerst günstig ausgewählten Stelle in der „Bleigasse“ (zweifellos abgeleitet von Bleidengasse) in der Nähe des Steintores, des Schmiedturmes und des Zimmerturmes, ein möglicher Hinweis auf die Blidenmannschaft und eventuell „kurze Wege“.13
1Bernhard Rathgen: Das Geschütz im Mittelalter, S. 610-638. Rathgen liefert zahlreiche archivalische Quellen, wenngleich seine Aussagen zur Wirkung und Wirkungsweise der Bliden rein theoretisch bleiben und an vielen Stellen korrigiert werden müssen. Der Wurfakt der Bliden vollzog sich nicht in langsamer Art und Weise, gleich einem Zeitlupentempo.
2Institut für Stadtgeschichte Frankfurt a.M. Dienstbriefe 1533, Inventare I,30.
3Züricherische Jahrbücher von Salomon Hirzel. Erster Band. Zürich 1814, S. 157.
4UB Stadt Lüneburg II, Nr. 805, S. 167f.: dat we unsem truwen denere, mester Lamberte blidenmestere, unde sine husvrowen Ghesen ghegheven hebbet unde ghevet das hus unde hof uppe der Nyen Zulthen…
5 Die Urkunden Kaiser Sigmunds (1410 – 1437). XI, 2 Regesten Sigmund 1425-1437, hrsg. v. Wilhelm Altmann. Innsbruck 1897, Nr. 7132 u. 7161.
6Rathgen, a. a. O., S. 620f.
7Staatsarchiv Marburg, Kopiar 15, Nr. 58, Bl. 40v.
8Bernhard Rathgen: Feuer- und Fernwaffen des 14. Jahrhunderts in Flandern, VII: Band, S. 287
9 Stadtarchiv Mainz, Urkundenbestand, U 1388 Juli 15.
10Göttingische Anzeigen von gelehrten sachen etc. Der zweyte Band, Göttingen 1786, S. 972.
11 Wilhelm Jost: Der Deutsche Orden im Rhein-Main-Gau. Gießen 1941, S. 142.
12Dietrich Schröder: Kurze Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar. Was betrifft die weltliche Historie derselben, mehrentheils aus allerhand schriftlichen Urkunden, zur Erläuterung der Mecklenburg weltlichen Historie, den Liebhabern mitgetheilt. IV. Von den ehemaligen Wismarischen Wehr und Waffen, besonders von den Bliden. Wismar 1858.
13 Martin Dolch: Ein Blidenhaus in Kaiserslautern. In: Kaiserslauterer Jahrbuch für pfälzische Geschichte und Volkskunde. Band 12, Kaiserslautern, S. 147-152.