Zur Funktion der Runneburg-Blide (Teil 4)

War die Blide „gespannt“, wozu an jedem Spannrad vier Mann nötig waren, das heißt, der Wurfarm war bis etwa 20 cm über der Laufrinne herabgewunden, wurde ein Halteseil über den Wurfarm gelegt und am Abzugsmechanismus befestigt. Dann wurde das Spannseil mittels Spannräder „abgewickelt“. Nun legte der Blidenmeister die Seile der Wurfschlinge parallel in die Laufrinne und schob den Blidenstein mit der abgeflachten Stelle nach unten in den Schleudersack. Erst jetzt schob er aus Sicherheitsgründen das lose Ende der Wurfschlinge über den Haken. Die Blide war abwurfbereit. Nach dem Kommando „Und los!“ wurde das Seil des Abzugsmechanismus gezogen, das Sicherungsseil schnellte über den Wurfarm und gab diesen frei. Der schwere Gegengewichtskasten zog den kurzen Hebel nach unten, der längere Hebel bewegte sich gemächlich, aber nicht langsam, in die Höhe und bei einer leichten vorwärtsgerichteten Neigung gab der Haken die Wurfschlinge frei. Der Blidenstein flog in flachem Bogen mit hoher Geschwindigkeit ins Zielgebiet. Während der Wurfarm mehrfach hin und her schwankte um endlich zur Ruhe zu kommen, zerrte er das Wurfseil noch wie eine Peitsche hin und her.

Die Runneburg-Blide in ungespanntem Zustand (mit senkrecht stehendem Wurfarm) im Winter.

Die Wurfweiten lagen bei der immer gleich verwendeten Steinkugel aus Kalkstein kontinuierlich bei etwa 300 Meter, da das Zielgebiet genau definiert und von den Ordnungsbehörden vorgegeben war. Wir waren zum treffsicheren Werfen geradezu gesetzlich verpflichtet … Alle, über mehrere Jahre geworfenen Steinkugeln (bei 100 Würfen) landeten in einem rundlich-ovalen Feld von 10 Meter Radius. Bei einem der ersten, etwas zu weit geratenen Würfe wurde problemlos eine fünfzehn Zentimeter dicke Betonmauer eines naheliegenden Kuhstalles durchschlagen. Bei einem windstillen Werfen wurde zweimal mit ein und demselben Stein geworfen. Das Ergebnis war selbst für mich als Artilleristen verblüffend: Der Abstand des Einschlagspunktes von Wurf eins zu Wurf zwei betrug lediglich 20 cm! So genau schießt keine Kanone! Damit war die Treffgenauigkeit, die Aegidius Romanus so schön mit der Nadel beschrieben hatte, bestätigt. Beim Werfen nach drei Regentagen durchschlug unsere 50 Kg schwere Kalksteinkugel die Grasnarbe und grub sich zirka 50 cm in den Boden. Nach einer Trockenperiode sprang unsere Kugel wie ein Tischtennisball über den Acker. Auch damit bestätigten sich die Aussagen mancher Chronisten, die Kugeln kämen gelaufen und gesprungen. Auch unsere Würfe bei Nacht (mit Leuchtspurkugeln) verliefen problemlos und ohne Beanstandungen. Alle Kugeln landeten im Zielgebiet. Beim Aufprall konnte zudem eine Kugel in zwei Teile zerplatzen. Einzelne halbe Blidensteine lassen sich ebenfalls hier und da lokalisieren, so auch im Arnstädter Bestand. Leider konnten wir unsere Experimente nicht weiterführen, denn nach dem „ehrenamtlichen Freitod“, sprich der Auflösung des Runneburgvereins Weißensee / Thür. e. V. mußte auch die Steinschleuder verkauft werden.