ich tummer affe – Heinrich Hetzbolt von Weißensee – Thüringens letzter namhafter Minnesänger

Er war Burgvogt der landgräflichen Runneburg in Weißensee, passionierter Jäger und würde es eine Kulturgeschichte des Mundes geben, wäre dem letzten namhaften Thüringer Minnesänger ein Ehrenplatz sicher (Peter von Matt). Die Rede ist von Herrn Heinrich Hetzbolt von Weißensee. Urkundlich ist er zwischen 1310 und 1345 belegt. Ob aber jener Heinricus de Weissensee, der 1306 Erwähnung findet, mit ihm identisch ist, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Als Kastellan bzw. Burgvogt tritt er uns von 1319 bis 1345 entgegen. 1324 wohnt er als Ritter Heynricus Hezebolt einer Beurkundung bei. Das letzte Jahr seiner Amtszeit braucht nicht des Dichters Todesjahr sein. Das bleibt ebenso im Dunkeln.

Tatendrang und Durchsetzungskraft müssen dem Burgvogt Heinrich eigen gewesen sein und sollte sein Beiname „Hetzbolt“ – ich übersetze es einmal mit „verwegener Hetzjäger“ – auf sein Draufgängertum verweisen, so hat auch der erste Nachtragsmaler der Großen Heidelberger Liederhandschrift seinen Beinamen aufgegriffen und thematisisert.

Die Miniatur hält eine mehr als dramatische Jagdszene fest: Hetzbolt verpaßt dem Keiler, der schon einen Jäger auf den Baum trieb und eine Bracke blutig riß, den tödlichen „Blattstich“ – und zwar mit dem Ritterschwert vom Pferde aus! Das war mehr als eine Glanzleistung und auch das Mönchlein, das seine blanke Wehr dem Keiler in den Rücken treibt, schmälert nicht Hetzbolts mutige Tat. Keiler waren früher deutlich größer als heute, man erinnere sich nur an den erymanthischen Eber oder jenes Exemplar, welches das tapfere Schneiderlein bezwingen mußte. Auf der Runneburg haben die Archäologen bergeweise Wildschweinknochen und auch Zähne aus der Zeit Hetzbolts aus dem Burgbrunnen gehievt. Wildschwein stand also ganz oben auf der Speisekarte des Minnesängers, seiner Burgmannen und Burgdamen. Erinnern kann ich mich noch, daß einer der Hauer die stattliche Länge von 21 Zentimertern aufwies. War es vielleicht sogar der imposante linke Hauer eben jenes Keilers, den Hetzbolt niederstreckte? Es wäre zu schön, um wahr zu sein. Die Miniatur vermittelt den Eindruck, daß das Lebensmotto Hetzbolts zweifellos „Geht nicht, gibt`s nicht“ hieß.

Doch lassen wir den Jäger Hetzbolt einmal außen vor und widmen uns seiner Minnelyrik. Bei seinen Zeilen wird eines ganz deutlich: Hetzbold war ein Charmeur durch und durch, ja er schlug die Damenwelt mit unschlagbaren Waffen. Wenn er zum Beispiel die Schönheit der verehrten Herrin rühmt, hofft er natürlich auch, von ihr ein Lächeln zu erheischen. Im Traume – aber nur dort (!) – hofft er von ihrem roten Mund geküsst zu werden. Der Keilerbezwinger als schmachtender Dichter, ein Wolf im Schafspelz möchte man meinen. Hetzbolt steht zu seinem Tun. Wer einen Riesenkeiler mit dem Ritterschwert erlegt, der hat auch den Mumm sich in seinen Minneliedern erkennen zu geben. Sein „dir singet hetzebolt“ bleibt für die deutsche Minnelyrik – bei aller minnesingerischen Tradition – ein Novum. Keiner vor ihm gab sich in der Zeit des klassischen Minnesangs namentlich in einem Lied zu erkennen. Und er geht noch weiter: Die Selbstbetitelung „ich tummer affe“ läßt eine gewisse ironische Selbstkritik bei voll ausgeprägtem Selbstbewußtsein erkennen. Alle seine Lieder durchziehen natürlich „Liebesklagen“. Viermal nennt er seine Minnedame mit dem schmeichelhaften Hüllnamen „der schœne glanz“ (die alle Schönheit Überstrahlende), preist sie als seine „keiserinne“ und greift auf Konrads von Würzburg Bezeichnung „min leitvertrip“ (Vertreiberin all meines Kummers) zurück. Gar nicht klassisch klingen dagegen Verse wie:

„min zuckerkrütken, tuo mir helfe schin:

trut herzen trutken, ja bin ich ie din.“

„mein süßes Kräutlein, versage mir den

Liebeslohn nicht länger, du kleine Geliebte

meines liebenden Herzens, fürwahr, dir werde

ich immerdar gehören.“ (Manfred Lemmer)

Ihren roten Mund jedoch besingt er formenreich als spräche er eine „fünfe“. Seine Lieder sind der Spiegel für die Schönheit der Herrin, bei seinem Verstummen müsste sie verblassen. Er, der Ritter, hält der Herrin die gefalteten Hände hin, in der hoffenden Erwartung, dass sie diese mit den ihren umschließe zum Lehensvertrag auf Gegenseitigkeit: Frauenlob gegen Liebeslohn – platonisch und rein materiell versteht sich.

Es scheint als habe Hetzbold mit seinen Liedern dem Minnedienst am Ausgang des Mittelalters noch einmal ein Denkmal setzen wollen. Und wenn er sich selbst mit Namen nennt, und seine „keiserinne“ mit einem säuselnden Hüllnamen umschließt, überhöht er nicht nur die innigen Minnebande, er verleiht ihnen ein ewiges Geheimnis – und nur wir dummen Affen werden niemals erfahren, wer Hetzbolts Leidvertreiberin war.

Herrn Heinrich Hetzbolt von Weißensee wurde nach fast 700 Jahren eine Ehre zuteil, die nur wenigen Dichtern und Schriftstellern vorbehalten ist: er wurde mit seinem Lied vom schönen Mund der eine Fünfe spricht in Marcel Reich-Ranickis „Kanon lesenswerter deutschsprachiger Werke“ aufgenommen. Letztendlich schließt er nicht nur den Reigen der bekannten Thüringer Minnesänger, er war auch der letzte bekannte Weißenseer Minnesänger.

Einer von Hetzbold Kollegen, der tugendhafte Schreiber Heinrich, taucht im legendären Sängerkrieg auf. Der Andere, nur allgemein als der „Dürinc“ bekannt, sei an dieser Stelle gnädiglich als Weißenseer angesprochen. Warum? Das soll an anderer Stelle erörtert werden. Die Weißenseer haben ihren und den zahlreich in Weißensee wirkenden und bezeugten Dichtern des Mittelalters jedenfalls ein Denkmal errichtet – aus Bronze! Wir danken ihnen dafür.

Wol mich der stunde, von rôtem munde mir liep geschah.
den sach ich machen ein zartez lachen des ich dô jach.
ir mündel vreche daz gestellet sich,
alsz viunviu spreche, gar durchsiuverlich.
Ach swer daz kuste, zwâr den geluste vröude âne nôt.
sîn lachen lôse, ez entwart nie rôse mê halb sô rôt.
kel unde hende wîzer danne ein snê.
liep trût ân ende, wes tuost dû mir wê?
Wilt dû mich twinge durch daz ich singe
dir offenbar?
troeste mich eine, sît ich dich meine mit triuwen gar.
mîn zuckerkrûeten, tuo mir helfe schîn:
trût herzen trûtken, jâ bin ich ie dîn.