Herr Kirchschlager, Sie sind einer der bekanntesten Kleinverleger Deutschlands. Wie kam es zur Gründung des Kirchschlager Verlags? Stand es von Anfang an fest, dass Sie sich in Ihrem Programm auf historische Kriminalfälle konzentrieren wollen?
Ich wusste gar nicht, dass ich einer der bekanntesten Kleinverleger bin. Danke für die Blumen. Ich wollte nie Verleger werden. Es geschah aus der Not heraus. Viele Menschen meinen, auch durch Medien getäuscht, Verleger sind reiche Leute. Ein absoluter Trugschluss! Unser Programm entwickelte sich relativ schnell zu den Sachbüchern mit kriminalhistorischem Inhalt hin. Zukünftig werden wir diese Sparte weiter ausbauen.
Welches Buch aus Ihrem Verlag ist bisher am erfolgreichsten?
Historische Serienmörder I – Menschliche Ungeheuer vom späten Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Die Reihe wird fortgesetzt. Bald erscheint Band III als 1. Sonderband: Armin Rütters: Karl Denke – Der Kannibale von Münsterberg. Ein deutscher Serienmörder.
Sie sind nicht nur Verleger, sondern auch Historiker. Was interessiert Sie als Historiker an den außergewöhnlichen Fällen, die Sie in Ihren Büchern (wie z.B. in den Bänden der „Bibliothek des Grauens“) erwähnen, am meisten?
Die Art und Weise der Rechtsprechung, die Faszination, die in dem „Unglaublichen“ liegt, der Spannungsbogen zwischen Wahrheit und Übertreibung. Besonders interessieren mich Flugblätter mit Kriminalfällen, Flugschriften zu Mord- und Übeltaten (da bin ich schon auf viele unbekannte Serienmörder gestoßen), das Verhältnis zwischen Verbrechen und Aberglauben (Diebslichter, Kindesmorde, um an die Herzen der Ungeborenen zu kommen usw.), Geschichten von Werwölfen und Vampiren (nicht die, die von der Sorte aus Twilight sind! ) und nicht zuletzt die gesamte Palette der Kuriosa (Basilisken, Monster, Wundergeburten).
Für die Bücher ist sicherlich eine Unmenge an Recherchearbeit vonnöten. Wie finden Sie jeweils diese spannenden und rätselhaften Berichte?
Unsere Autoren und ich recherchieren in Bibliotheken und Archiven gezielt nach Kriminalfällen. So stieß Michael Horn für unseren Band zu Mord- und Übeltaten auf frühneuzeitlichen Flugblättern auf eine wahre Fundgrube neuen Materials zu dem Fall des tausendfachen Serienmörders Christman Gniperdoliga. Aber wir sichten auch bekannte Bestände, wie z. B. die Wickiana oder Zeitungsbestände. Letzteres ist das Arbeitsfeld von Wolfgang Krüger, der die „Kriminalchronik des Dritten Reiches“ bearbeitet. Und manchmal machen wir hochinteressante Zufallsfunde, wie eine „Moritat“ auf Peter Nirsch oder ein Flugblatt von einem schweizerischen Serienmörder.
Ihre Bücher beinhalten eine Vielzahl von Überlieferungen unheimlicher Ereignisse und rätselhafter Zwischenfälle. Gibt es unter diesen Überlieferungen ein Ereignis oder einen Zwischenfall, den Sie persönlich für extrem unheimlich halten?
Da gibt es eine ganze Reihe von Fällen, die mir einen Schauer über den Rücken jagen. Besonders grausam ist die Geschichte, die mir mein Freund und Autor Kriminaloberrat a. D. Klaus Dalski über einen Vater erzählt hat, der aus lauter Dummheit seine beiden kleinen Kinder mit heißem Wasser zu Tode brühte (vgl. „Der Kopf in der Ilm“). Richtig unheimlich ist die Geschichte von einer Riesenschlange in einem Bergsee des Harzes. Ich halte diese Geschichte für keine Erfindung. Von der Mitte des 16. Jahrhunderts an (nach den Entdeckungen) sind zahlreiche Reptilien ihren „Haltern“ ausgebüchst, so scheint es zumindest. Da ist von grünen Basilisken die Rede, die Gift spucken (Sollte das eine grüne Mamba gewesen sein? Oder eine Speikobra?), lange „Würmer“ (so um die 5-6 Meter) werden von Jägern erlegt (Das klingt nach Pythons! ). Ich würde diese Art von Geschichten selber nicht glauben, wenn man nicht immer wieder von ausgebüchsten Riesenschlangen hören würde. Warum also nicht auch 1590, 1610 usw.? Was wissen wir, was die Seefahrer alles so von ihren wunderlichen Abenteuerfahrten mitbrachten?
Die Bände aus der „Bibliothek des Grauens“ sind bestückt mit äußerst unheimlichen und bizarren Ereignissen. Gleichzeitig geben sie einen sehr lebendigen Einblick in den damaligen Alltag. Daher richtet sich die folgende Frage an Sie wiederum als Historiker: Wie gingen damals – z.B. im Mittelalter – die Menschen mit außergewöhnlichen Erscheinungen um? Glaubten sie tatsächlich z.B. an Werwölfe und Besessenheit oder hatten die damaligen Menschen eher rationale Erklärungen dafür?
Wir lebten und leben in einer christlich geprägten Zeit. Das heißt, wir haben Glauben und eine Unmenge Aberglauben. Natürlich glaubten die Leute den Unfug von Werwölfen, Vampiren usw. Heute findet man ja auch noch in den sehr katholischen Regionen Exorzismen, Aberglauben unterschiedlichster Art. Ich glaube an keinen Teufel, nur an den, der in mir steckt. Prometheus gleich, sollten wir unser Menschenbild formen. Da haben wir uns von den Menschen des Mittelalters und der Neuzeit schon etwas weiter entwickelt. Gleichzeitig zähle ich zu den Menschen, die die „Schöpfung“ bewahren wollen. Rationale Erklärungen für Teufel und Werwölfe usw. gab es schon immer, nur hat man den aufgeklärten Menschen oft nicht geglaubt.
Von großer historischer Bedeutung ist die „Kriminalchronik des Dritten Reiches“. Bisher sind zwei Bände erschienen. Wie kam es dazu, dieses Projekt zu verwirklichen? Wird es noch weitere Bände geben?
Die Idee stammte von Wolfgang Krüger. Ja, es wird weitere Folgebände geben, bald sogar die „Serienmörder des Dritten Reiches“ Band I in der Reihe „Historische Serienmörder“.
Der MDR produzierte mehrere Kurzfilme mit dem Titel „Historische X-Akten aus Sachsen-Anhalt“, bei der Sie mitgearbeitet haben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit? Schrieben Sie auch die Skripte zu den einzelnen Sendungen?
Die Reihe fußte auf meinen Geschichten und meiner Idee; leider wurde ich dann aber zunehmend aus der Arbeit „rausgedrückt“. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.
Sie sind nicht nur Historiker, Verleger und Autor von Sachbüchern, sondern schreiben auch historische Kriminalromane. Im Herbst 2012 erschien z.B. Ihr Roman „Hans Stahl und der Tod der Rosen“. Seit wann schreiben Sie Romane und woher nehmen Sie Ihre Ideen?
Meinen ersten Roman schrieb ich mit neun Jahren. Die Ideen fliegen mir einfach zu.
Haben Sie als Romanautor bestimmte literarische Vorbilder?
Nein, obwohl es sehr gute Schriftsteller gibt, die mich inspirieren, besonders die älteren Autoren.
Schreiben Sie zurzeit an einem neuen Roman?
Ja, dabei geht es um einen Bücherdieb. Es soll ein fundierter, aber auch erotisch angehauchter literaturhistorischer Roman werden. Mehr kann ich nicht verraten. Bald erscheint im Knabe Verlag Weimar mein Ritterroman „Die Ritter vom schwallenden Wasser“, eine skurrile mittelalterliche Familiengeschichte.
Ich habe einmal gelesen, dass Sie leidenschaftlicher Hobbykoch sind und gerne mittelalterliche Rezepte ausprobieren. Welches mittelalterliche Gericht hat Ihnen bisher am besten geschmeckt?
Karpfen blau nach einem Klosterkochbuch von 1534. Man nehme zum Sieden reinen Wein (trockenen), pro Pfund Karpfen eine Handvoll Salz und mehr nicht. Den Karpfen zirka 20 Minuten sieden. Er schmeckt dann wunderbar nach Karpfen und Wein. Köstlich. Meine Frau hält allerdings nichts von Karpfen blau. Er ähnelt ihr zu stark den Fingern von Leichen …
Lieber Herr Kirchschlager, ich bedanke mich recht herzlich, dass Sie sich für das Interview Zeit genommen haben und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen viele neugierige Leserinnen und Leser!
Das Gespräch führte Max Pechmann.