Einschlagskrater und Einschüsse an Baudenkmalen – Vom Baubefund zum Mahnmal der Erinnerungskultur

Michael Kirchschlager

Im Rahmen meiner Forschungen zu Bliden und Blidensteinen stieß an Baudenkmalen, speziell Burg- und Stadtmauertürmen aber auch Kirchen, Gefängnisbauten und Denkmälern vereinzelt auf Spuren von Bewurf und Beschuß durch historische militärische Großfernwaffen, wie Bliden, Steinbüchsen und Geschützen aller Art und Zeiträume (inklusive sowjetischer Panzerabwehrkanonen, kurz „Pak“, aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges). Bei der hautptsächlich fotografisch durchgeführten Dokumentation der Einschlagskrater, Einschüsse und anderer ähnlicher Beschädigungen (z. B. durch Granatsplitter) und Schadensbilder, denen eine weit umfassendere Kartierung und Dokumentation gebührt, handelt es sich nicht nur um bauhistorische Befunde sondern auch um wichtige Zeugen militärischer und kriegerischer Auseinandersetzungen. Sie sind als Teil einer steinernen Erinnerungskultur zu verstehen und zu bewerten. Leider wurden in der Vergangenheit diese hochinteressanten Befunde „wegrestauriert“. Aber auch in der Gegenwart werden solche Art von Kriegsspuren entfernt, die doch als Teil unserer Erinnerungskultur erhalten bleiben sollten. In Güsten in Sachsen-Anhalt, der Heimatstadt des Verfassers, wurden kurz nach der Wende zwei Löcher in der Friedhofsmauer beseitigt, die von Splittern einer amerikanischen Luftmine stammten, die die US-Bomber 1945 über Güsten abwarfen.

Die Munition von militärischem Großgerät hinterläßt an Baudenkmalen neben allgemeinen großen Beschädigungen und Zerstörungen vorallem Spuren in Form von Einschlagskratern, die hauptsächlich durch Bewurf und/oder Beschuß entstehen. Daneben lassen sich auch Einschüsse mittels Handfeuerwaffen feststellen. Das komplette Spektrum historischer Munition läßt sich archäologisch als Fund und teils als Befund im Rahmen militärischer und kriegerischer Auseinandersetzungen vom hohen Mittelalter bis in die Gegenwart nachweisen. Nachfolgend sollen einige Befunde vorgestellt werden.

Unten im Bild der Turm der Burg Stolpe, Angermünde, rechts unten neben dem Eingang Einschußkrater eines Projektils einer sowjetischen Panzerabwehrkanone (?), datiert 1945.

Der eindrucksvolle, runde Großturm der Burg Stolpe, der sog. „Grüttpott“, in Stolpe, einem OT der Stadt Angermünde (Lkr. Uckermark, BB), mit 17,70 m Durchmesser gehört zu den imposantesten Türmen im norddeutschen Backsteingebiet. Eine Belagerung und Eroberung der Burg ist für 1446 durch den Kurfürsten Friedrich II. Eisenzahn (1413-1471) belegt. Ob Steinbüchsen zum Einsatz kamen bleibt sehr fraglich. Der Turm brannte aus und wurde ruinös. Drei Treffer sollen von einem sowjetischen Geschütz aus dem Jahr 1945 stammen. Aufgrund des massigen festen Mauerwerks konnten möglicherweise selbst panzerbrechende Granaten (Hohlladung?) dem Turm nichts anhaben.

Burg Blankenburg

Burg Blankenburg, Ruine, Wolfshagen1456 Belagerung durch Kurfürst Friedrich II. Eisenzahn von Brandenburg (1413-1471. Der Bergfried, auch Fangelturm genannt, ist 24 m hoch und besteht aus einem 11 m hohen, quadratischen Unterbau aus Feldsteinen und einem runden Backsteinaufbau.

Einschußkrater am Nikolausturm

Am Nikolausturm der Stadtbefestigung von Ochsenfurth (Lkr. Würzburg, BY) haben sich Einschlagskrater aus dem 17. Jahrhundert erhalten. Der Nikolausturm, ein schlanker Rundturm mit Zeltdach an der südwestlichen Ecke der Stadtmauer gelegen, datiert ins 15./16. Jahrhundert.

Peenemünde

Peenemünde, V-Waffen-Versuchsanstlt., 1945, Bombardierung durch anglo-amerik. Bomber

Thomaskirche Erfurt, März 1945, mglw. Beschuß von der Straße aus, obwohl es auf Bombentreffer offiziell zurückgeführt wird! Verwendung unterschiedlicher Munition (Handfeuerwaffen, leichte MGs, Pak, Pz)

Zum Schluß sei noch auf zwei Denkmäler hingewiesen. Zum einen handelt es sich um das Grabdenkmal für Julius Schramm auf dem Friedhof in Märkisch-Buchholz (Lkr. Dahme-Spreewald, BB)

und zum anderen um das Denkmal für Prof. Hermann Schaeffer in Ilmenau (Ilmkreis, TH), unten im Bild.

Ersteres weist einen Durchschuss (Durchmesser ca. 50 cm) eines sowjetischen Geschützes (Pak?) auf. Am Eingang zum Friedhof befindet sich eine Anlage mit Kriegsgräbern, die an die Deutschen Soldaten erinnert, die 1945 bei Märkisch-Buchholz gefallen sind. Vermutlich handelt es sich bei dem Loch im Grabdenkmal um den letzte steineren Zeugen dieser Kämpfe. Neben dem Friedhof verläuft eine Straße; es scheint durchaus möglich, dass sich hinter den Friedhofssteinen und Denkmälern deutsche Soldaten verschanzt hatten, die dann von sowjetischer Artillerie unter Beschuss genommen wurden.Ebenfalls Spuren des Zweiten Weltkrieges zeigt das für Prof. Hermann Schaeffer (1824-1900) gestiftete Denkmal, welches Ein- und Durchschüsse aufweist. Das Denkmal, eine Bronzebüste auf einem steinernen Sockel, befindet sich im Sophiental zwischen Ilmenau und Manebach, und wurde von Schülern und Freunden gestiftet. Der Jenaer Hofrat und Professor weilte zum Kuraufenthalt in Ilmenau und förderte mit seinen Experimentalvorlesungen zur Physik und in Vorträgen die Glasbläser und Glasinstrumentenmacher im Thüringer Wald von Ilmenau bis Lauscha. Eine Tafel neben dem Denkmal erläutert die Herkunft der Einschüsse: „Die 17 Einschüsse in der Büste entstanden am Ende des 2. Weltkrieges durch amerikanische Soldaten.“ Mindestens zwei Schüsse gingen durch die Büste durch. Auch hier empfiehlt sich, die Büste in diesem Zustand zu belassen.

Fazit: Untersuchungen von Schadensbildern (Einschlagskratern usw.), hervorgerufen von historischem militärischem Großgerät, fehlen bislang und stellen ein interessantes und wichtiges Forschungsdesiderat dar. Zumeist wurden die Schadensbilder durch „Restaurierungsarbeiten“ zerstört. Gleiches droht zahlreichen Baudenkmalen oder Denkmälern in der Gegenwart, die durch unsachgemäße „Sanierung“ ihren Wert als historische Quelle verlieren oder stark einbüßen und so als Objekte einer Erinnerungskultur und somit dem kulturellen Gedächtnis verlorengehen. Der 1968 gebaute Wasserturm der Stadt Vukovar in Kroatien ist heute ein Mahnmal, das an die Grausamkeit des Kroatienkrieges 1991 – 1995 erinnern soll. Der zerschossene Turm dokumentiert und gemahnt eindrucksvoll an die Belagerung Vukovars 1995 durch serbische Truppen.